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Das neue Evangelium

Das neue Evangelium

Titel: Das neue Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mattias Gerwald
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»Sonst geraten wir vielleicht tatsächlich auf einen Irrweg.«
    Henri lachte. »Gut gesprochen! Aber dorthin reisen wir eben nicht, um ihn anzubeten, sondern um in seiner Nähe zu sein und zu lauschen, ob Gott, der Herr, auch anwesend ist.«
    »Und auch, um das neue Evangelium zu sehen und seinen Inhalt zu erfahren. Vielleicht handelt es sich gar um die Verkündigung einer neuen Weltordnung!«
    »Gott stehe uns bei!«, sagte Henri und schlug ein Kreuz.
    »Ich werde euch dieses neue Evangelium übersetzen«, sagte Uthman. »Und ich verspreche, dabei keinen Fehler zu machen.«
     
     
    Der Hafenmeister hatte Recht, dachte der Mann. Sie verhalten sich äußerst auffällig. Wer sich so verhält, der neigt auch dazu, die Gesetze zu missachten. Er stellt sich selbst in den Mittelpunkt. Er sucht das Heil in sich selbst! Welch ein Frevel!
    Und hatte nicht der Herr durch Jesaja verkünden lassen: Siehe, ich breite aus den Frieden wie einen Strom, ihr sollt auf dem Arme getragen werden; und auf den Knien wird man euch freundlich halten, ich will euch wie ein Vater trösten, wie eine Mutter, ja ihr sollt durch mich ergötzet werden?
    So hatte Jesaja gepredigt, nur im Herrn lag das Recht auf Frieden, warum hielten sich die Fremden nicht daran?
    Sie gingen frech herum, besahen alles mit unverschämten Blicken, fassten es mit Ketzerhänden an! Und der eine war offensichtlich ein Heide, ein Vogelfreier, ein Ausbund Satans, der gewiss ein Bocksbein besaß. Er hätte ihn auf der Stelle erschlagen sollen!
    Aber er musste abwarten, er hatte seinen Auftrag. Alle Ketzer mussten sterben.
    Aber selbst der Judas, der am Abend zu ihm gekommen war und die Fremden verraten hatte, weil er eine Belohnung haben wollte, war ihm frevelhaft vorgekommen, unverschämt, irgendwie voller sündhafter Eitelkeit. Er hätte ihm dieses lächerliche weiße Piratentuch vom Haupt reißen sollen. War es zu fassen, dass jemand vor ihm das Haupt beugte und dabei eine Kopfbedeckung aufbehielt?
    Der Mann ging quer durch den Ort, vom Hafen auf den Stadtpalast des Konnetabels zu. Seine Gedanken kreisten seit dem Morgen unablässig um Kampf, Rache und unbedingte Pflichterfüllung.
    O ja! Wenn er gerufen wurde, erfüllte er jeden Plan, dann ließ er keinen Augenblick mehr ab von seinem Wild, das er jagen musste, dann war er mit Herz und Seele Jäger.
    Er erinnerte sich nicht mehr daran, wann dies angefangen hatte. Wann aus einem Opfer, das unter der Folter geweint hatte, ein Täter geworden war.
    Bildete er sich das alles überhaupt nur ein? Gab es das wirklich, diese Erinnerung an den Kerker, an glühende Eisen, Zangen, Streckbänke, Feuer? Es lag lange zurück. Aber seitdem wusste er endlich, welches sein Platz war. Es war der Ort der Hölle, eine Art Vorhof, auf den er andere zu führen hatte.
    Sie sollen demütig sein, dachte der Mann, und sie sollen unaufhörlich beten. Denn das ist das Reich, aus dem Kraft und Herrlichkeit kommen.
    Er hatte den Stadtpalast des Konnetabels beinahe erreicht. Schon erblickte er das weiße Gebäude mit den sich sacht im Wind wiegenden Palmen davor. Freuet euch mit Jerusalem, dachte der Mann, und seid fröhlich über ein solches Weib, dafür sollt ihr saugen und satt werden an ihren Brüsten, an den Brüsten ihres Trostes, ihr sollt euch ergötzen an der Fülle ihrer Herrlichkeit. Diese Frau, dieses Jerusalem mit der süßen Milch des Glaubens!
    Kurz vor dem Portal blieb der Mann stehen, zögerte einen Moment und sah zum Himmel auf.
    Der Mann, der den Himmel nach etwas absuchte, kam aus Paris, dort hatte er den Herrn Guillaume de Imbert kennen gelernt, einen bedeutenden Inquisitor, aber er war schon seit einiger Zeit hier in Lapethos. Es war eine schöne, gottesfürchtige Stadt, und diejenigen, die nicht hierher passten, verschwanden einfach. Sie wurden nie gefunden, es hatte sie nie gegeben. Und das sollte jetzt auch mit den vier fremden Männern und der jungen Frau geschehen.
    Dafür bereitete er alles vor.
    Er sah zum Himmel empor und erblickte jetzt ganz oben eine geheimnisvolle Stadt und eine unzählbare, ihr zuströmende Menge Menschen. Er sah sie wahrhaftig, es war nicht das erste Mal. Welch ein schönes, beruhigendes Bild!
    Dann trat er durch das Portal, schritt die langen Gänge hinab und blickte währenddessen ständig geradeaus, niemand hielt ihn auf. Die Wachen kannten ihn schon. Immer wieder erstaunte sie sein Anblick.
    In seinen Augen loderte eine Wildheit, die seiner schlanken, edlen Gestalt widersprach. Und wenn er

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