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Das neue Evangelium

Das neue Evangelium

Titel: Das neue Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mattias Gerwald
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erzählte er, was er in den letzten acht Wochen gedacht, gesehen und erlebt hatte. Dann berichteten die Gefährten von ihren Erlebnissen.
    Und erst, als die Sonne als blutroter, großer Ball schon dicht über dem Horizont hing, wurden sie sich der Zeit bewusst. Die Stunden waren wie im Flug vergangen!
    Joshua führte sie in das Kloster. Und alle dachten daran, dass sich genau an diesem Tag, an diesem Abend, ja genau in diesem Moment bei Sonnenuntergang das zypriotische Pentekoste erfüllte, das acht Wochen lang währte.
    Jetzt war es zu seinem Ende gekommen. War es ein glückliches Ende? Vor ihrer Reise hätten sie nichts anderes für möglich gehalten, als dass im Einklang mit dem religiösen Empfinden nur alles wohlgeraten konnte.
    Jetzt war ihr Glaube daran erschüttert.
    Aber eine göttliche Zeitspanne war durchlaufen und begann von vorn. Das Gleichmaß war vorhanden. Und sie hatten die Zeit trotz aller Gefahren glücklich überlebt.
     
     
    Joshua erzählte noch am gleichen Abend zwischen Abendessen und Nachtgebet davon, dass nur in diesem Kloster Juden in einer Art Mönchsgemeinschaft lebten. Nirgendwo sonst gab es das. Er erklärte es damit, dass der Levit Barnabas und der christliche Märtyrer Andreas sich hier getroffen hatten. Und damit hatten sich auch zwei Religionen getroffen – und versöhnt.
    »Aber warum zwang damals Paulus die Urgemeinde der Christen, sich von Barnabas abzuwenden?«, fragte Henri. »Was war damals geschehen?«
    »Es wird ein Rätsel bleiben«, erwiderte Joshua. »Aber ich habe von jüdischen Brüdern hier gehört, dass es etwas mit seiner Haltung zum Judentum zu tun hatte. Und damit auch mit seiner Haltung zu dem, was wir heute Islam nennen. Du weißt, Henri, beide Religionen haben gemeinsame Wurzeln und besitzen viele Ähnlichkeiten.«
    »Ich weiß.«
    Sie saßen im Kreis herum. Das Gras im Innenhof des Klosters, das noch immer von Judenmönchen bewohnt wurde, die ihrer Arbeit schweigend nachgingen, duftete. Grillen zirpten. Es roch nach Salbei, Minze und Rosmarin.
    »Ich habe hier in der Bibliothek in die Bücher geschaut. Barnabas sprach in seiner Missionszeit nicht von Göttern, gegen die er predigte, sondern von bösen Dämonen. Aber plötzlich, nachdem er aus Antiochia hierher zurückgekehrt war, sprach er auch von Altären unseres unbekannten Gottes. Etwas Befremdliches findet Eingang in seine Schriften, die teilweise hier lagern. Ich habe besonders einen Brief studiert. Darin schreibt er an seine Christenbrüder, unser unbekannter Gott habe seine Schuldigkeit getan.«
    »Diesen Barnabasbrief kenne ich auch«, sagte Henri.
    »Ich konnte eine Abschrift in der Bibliothek des Vatikan einsehen, als ich mich auf einer Pilgerreise in Rom befand – ich erzählte es schon den Gefährten. Darin steht, dass für ihn die Gesetze völlig erledigt sind und dass die gesamte Offenbarung des Alten Testaments lediglich allegorisch auf Jesus zu beziehen ist. Dass das Christentum einer falschen Richtung folgt. Dass die Judenchristen die Gebote Gottes missverstanden und sich dadurch unrettbar der Sünde ausgeliefert hätten.«
    »So ist es. Ein erschreckender Befund für einen solchen Mann.«
    »So stellt dieser Barnabas noch immer ein ungelöstes Problem dar«, sagte Madeleine. »Und ich hoffte, wir würden uns mit diesen Fragen nicht mehr beschäftigen müssen.«
    »Hier im Andreaskloster«, sagte Joshua, »ist Barnabas höchst lebendig. Der Gott, den er hier verkündete, war der Judengott, der Gott, dessen Offenbarungen in den heiligen Schriften der Juden stehen. Zwar vermeidet er jede Bezugnahme auf jüdische Namen, aber er hat vom Judentum die religiösen Ideen übernommen, denen auch der gebildete Heide zustimmen kann – und der Muslim. Ihr versteht sicher, dass mich das alles sehr begeisterte.«
    »Und die Christen? Wo bleiben die?«, fragte Ludolf.
    »Urteile selbst darüber, mein Freund«, erwiderte Joshua. »Barnabas spricht von dem Schöpfergott, der die Welt und alles, was auf ihr ist, geschaffen hat, der eben als Herr des Himmels und der Erde nicht in von Menschen gebauten Tempeln wohnen kann.«
    »Das geht gegen die christliche Kirche, gegen die Kurie!«, sagte Henri.
    »Und nun kommt der heilige Andreas ins Spiel! Er sagt zur gleichen Zeit: Denn der Himmel ist sein Thron, und die Erde ist sein Fußschemel, was wollt ihr ihm für ein Haus bauen und was für einen Ort, wo er wohnen soll. Dies alles hier hat doch seine eigene Hand gemacht!«
    »Dieselbe Stoßrichtung!«, entfuhr

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