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Das neue Evangelium

Das neue Evangelium

Titel: Das neue Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mattias Gerwald
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hoffte, auch Joshua zu dieser Reise überreden zu können. London schien ihm in diesem Moment das Paradies zu sein. Dort lebten freie Menschen. In dieser Stadt konnte Henri untertauchen. Und dann würde er sich auf eine Reise nach Schottland begeben.
    Er würde nach Roslin gehen, in seine Heimat Midlothian. Henri war dabei klar, dass er sich dort nicht zur Ruhe setzen konnte. Auch dies wäre also nur eine Durchgangsstation.
    Und was dann?
    Viele Wege standen offen. In den Himmel führte hoffentlich noch keiner. Wenn Henri Sean anblickte, wusste er, dass dieser Gedanke richtig war.
    Und Madeleine? Wie würde sie sich entscheiden? So, wie Henri Uthman kannte, würde er sich nicht davon abbringen lassen, nach Syrien zu reisen. Würde Madeleine ihn begleiten?
    Und was würde Joshua vorhaben?
    Henri ritt an die Seite von Ludolf und Jesus de Burgos. Die beiden Pilger hatten sich angefreundet und sprachen viel miteinander. Vielleicht würden sie ihre Pilgerschaft gemeinsam fortsetzen.
    Jesus sagte gerade: »Der Kreuzfahrerstaat unter der französischen Dynastie Lusignan steht jedenfalls für die Zurückdrängung des byzantinischen Einflusses und die Öffnung zum Abendland.«
    »Man könnte auf Zypern bleiben«, sagte Ludolf. »Die Insel ist schön. Und sie birgt so viele Geheimnisse, die noch zu entdecken sind.«
    »Das ist wahr«, entgegnete Henri. »Zypern ist im Aufbruch. So, wie man die Nikolauskathedrale in Famagusta immer weiterbaut und wie in Kolossi die Wohntürme der Hospitaliter wachsen und wachsen, so gedeiht auch diese Insel.«
    »Wir Templer haben dafür den Preis gezahlt«, sagte Jesus de Burgos melancholisch. »Vielleicht war es nötig, um anderes wieder auferstehen zu lassen.«
    »Ich beginne, mich an diesen Gedanken zu gewöhnen«, sagte Henri. »Vielleicht kann ich eines Tages sogar meinen Hass auf die Verräter vergessen und den Dingen einfach ihren Lauf lassen. Es muss ein paradiesischer Zustand sein, wenn man ohne Rachegedanken durch diese Welt geht.«
    »Komme mit uns, Henri!«, sagte Ludolf enthusiastisch. »Wir haben noch so viel zu entdecken!«
    »Es ist nicht so«, sagte Henri, »dass ich schon genug gesehen und erlebt hätte. Aber die Abenteuerlust ist mir in der letzten Zeit gründlich abhanden gekommen.«
    »So werden sich unsere Wege trennen?«, fragte Ludolf.
    »Wenn wir im Andreaskloster sind«, erwiderte Henri, »entscheidet sich alles.«

 
    17
     
     
     
    Anfang März 1320. Kap Apostolos Andreas
     
    »Es waren die Araber! Sie haben alles zerstört!«
    Der Fischer, der dies sagte, stand mit nackten Füßen im tiefen Sand. Sein Gesicht war sonnenverbrannt. In seinem schwarzen Gewand wirkte er wie ein Mönch, mit seinen ungestümen Gesten wie ein Verkäufer. Die Gefährten hatten ihn angesprochen, als sie durch eine von mehreren verwüsteten Städten gekommen waren. Auf der ganzen Landzunge Karpasia stand kein einziges Haus mehr.
    »Aber wann war das, als die Araber hierher kamen?«, fragte Henri.
    »Lange her!«, sagte der Fischer.
    »Araber waren seit Jahrhunderten nicht hier!«, meinte Uthman. »Er meint wahrscheinlich die Kämpfe nach der Entstehungszeit des Islam im siebten Jahrhundert.«
    »Die Araber waren es! Sie kamen über das Meer von Syrien her und zerstörten hier alles! Reitet weiter an der Nordküste entlang! Ihr werdet nur Ruinen finden!«
    »Finden wir dort oben einen kleinen Hafen, von dem aus Schiffe nach Syrien gehen?«, fragte Uthman den Fischer.
    Dieser blickte verständnislos. »Warum wollt ihr nach Syrien? Seid ihr etwa auf der Flucht? Seid ihr Feinde?«
    »Nein.«
    »Dann bleibt bei uns. Es ist schön hier. Hier gibt es alles, was der Mensch braucht. Wasser, Wein, Oliven, Brot, Käse, Wild – und schöne Frauen!«
    »Es gibt viel Elend und Zerstörung, das sehen wir ja!«
    »Heute ist alles friedlich. – Allerdings…«
    »Was?«
    »Fragt im Kloster des heiligen Andreas nach! Dort erklärt man euch alles! Fragt dort!«
    »Was wird man uns sagen?«
    »Es geht mich nichts an. Wir sind arme Leute. Für die Dinge, die sonst noch geschehen, sind andere zuständig! Leute, die mehr verstehen und andere Wahrheiten sehen. Reitet nach St. Andreas – und fragt nach Barnabas!«
    »Was? Ausgerechnet nach Barnabas?«
    »Er ist an allem schuld. Er hat alles durcheinander gebracht – damals. Oben am Kap ist sein Name noch sehr lebendig, selbst die Steine kennen ihn und seufzen. Und nun muss ich hinaus. Fragt im Andreaskloster nach Barnabas!«
    Der Fischer bestieg sein Boot und

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