Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
leicht durch die Machthaber zu manipulieren, man kann einer Demokratie also bei Verhandlungen eher über den Weg trauen. Demokratie gibt denjenigen eine Stimme, die am wahrscheinlichsten unter einem Krieg zu leiden haben werden.
Falls der letzte Punkt eine Rolle spielt, wäre allerdings zu klären, warum Demokratien weiterhin gegen nicht-demokratische Länder in den Krieg ziehen. Denn Demokratien sind nicht generell netter, sie verhalten sich nur anderen Demokratien gegenüber friedlicher. Insgesamt führen sie nicht weniger Kriege als undemokratische Länder. Manche Forscher vermuten daher, die Staatsform sei nicht die Ursache des Phänomens, weil sich sonst ein allgemeiner Friedlichkeitseffekt einstellen müsste. Eine der alternativen Hypothesen lautet: Es ist nicht die Staatsform, die Demokratien davon abhält, anderen Demokratien den Krieg zu erklären, sondern die Ähnlichkeit der Länder. Dafür spricht, dass auch höchst undemokratische Staaten untereinander seltener Krieg führen, als zu erwarten wäre. Die Regel vom Demokratienfrieden wäre dann nur ein Sonderfall der Regel «Ähnliche Länder führen keinen Krieg gegeneinander».
Von Thomas L. Friedman, einem amerikanischen Journalisten, stammt die «Golden Arches Theory of Conflict Prevention»: Es gibt keinen Krieg zwischen Ländern mit McDonald’s-Filialen. Hier ist immerhin klarer als bei der Demokratienregel, dass das nicht an McDonald’s liegt. Der Geschichte war die 1998 aufgestellte McDonald’s-Theorie allerdings egal. Kurz darauf bombardierte die NATO Serbien, es gab Krieg zwischen Israel und dem Libanon sowie zwischen Russland und Georgien, allesamt Länder mit McDonald’s-Filialen. Ein ähnliches Schicksal kann auch der Demokratienregel noch bevorstehen, denn es fehlen nur etwa zehn Kriege zwischen demokratischen Ländern für einen Ausgleich der Statistik.
Allgemeine Wirtschaftsfaktoren spielen ziemlich sicher eine Rolle, unklar ist nur, an welcher Stelle der Kausalkette sie ins Spiel kommen. Ist die wirtschaftliche Entwicklung die Basis für eine stabile Demokratie, macht eine Demokratie reich, oder beides? Vielleicht ist auch ein dritter Faktor im Spiel, und wahrscheinlich sogar ein vierter bis achtzehnter. Zum Beispiel könnte der Betrieb einer Marktwirtschaft mit einer bestimmten Verhandlungs- und Vertragskultur einhergehen, die sowohl eine demokratische Staatsform als auch Frieden nach sich zieht.
Eigentlich müsste man als Erstes herausfinden, welches der beiden eingangs genannten Lager recht hat: Beruht Krieg auf rationalen Abwägungen? Oder sind es Fehleinschätzungen und Wahrnehmungsverzerrungen, die quasi versehentlich zum Krieg führen? Das ist zum Beispiel dann eine praxisrelevante Frage, wenn man eine Politik der Abschreckung betreiben möchte. Abschreckung funktioniert nur dann gut, wenn der Gegner die ungünstigen Kriegsvoraussetzungen korrekt erkennt und berücksichtigt. Generell wäre es zur Erhaltung des Friedens günstig, zu wissen, ob es eventuell gute Gründe für das gewaltsame Austragen von Konflikten gibt oder ob die Beteiligten friedliche Lösungen eigentlich vorziehen.
Anhänger der ersten Glaubensrichtung gehen davon aus, dass beide Seiten in einem Krieg sich gut überlegen, was es zu gewinnen und zu verlieren gibt. Die Kriegserklärung ist kein Scheitern, sondern ein bewusster Schritt. Viele Brettspiele funktionieren auf diese Weise. Allerdings hat die psychologische und verhaltensökonomische Forschung in den letzten Jahrzehnten in zahllosen unterhaltsamen Studien belegt, dass Menschen nicht besonders gut zu rationalen Einschätzungen ihrer Situation und angemessener Planung in der Lage sind. Zwar wäre theoretisch denkbar, dass sich in einer größeren Gruppe – also zum Beispiel einer Regierung – die individuellen Fehleinschätzungen gegenseitig aufheben. Dazu müsste es sich um ein allgemeines Fehlen von Präzision handeln, es müssten zum Beispiel manche Regierungsmitglieder zu übermäßigem Optimismus neigen und andere zum Gegenteil, sodass sich im statistischen Mittel eine korrekte Einschätzung ergibt. Das ist aber nicht der Fall, es gibt eine Reihe von Trugschlüssen und Wahrnehmungsverzerrungen, die bevorzugt in eine bestimmte Richtung wirken (siehe auch →Wissen). Unangemessener Planungsoptimismus, der durch die Fakten nicht gestützt wird, ist eins dieser Probleme (und der Grund, warum viele Heiratende trotz Kenntnis der Scheidungsrate überzeugt sind, dass ihre Ehe ewig halten wird). Die
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