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Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)

Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)

Titel: Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz , Kai Schreiber
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Tages sterben werden, gilt als einigermaßen gesichert. Zumindest ist von den bisher geborenen Menschen noch niemand nachweislich älter als 122 Jahre geworden – in diesem Alter starb 1997 die oben zitierte Rekordhalterin Jeanne Calment. Das Argument ist nicht ganz wasserdicht, beispielsweise stand lange Zeit kein Mensch auf dem Mond, ohne dass sich so die prinzipielle Unmöglichkeit menschlichen Auf-dem-Mond-Stehens hätte beweisen lassen. Aber verglichen mit dem Unwissen, das sich rund um das Ende unseres Lebens anhäuft, ist das Sterben selbst eine relativ gut belegte Tatsache. Umstritten hingegen ist nicht nur, warum das Leben eigentlich enden muss und ob nach dem Sterben noch etwas passiert, sondern auch, warum und wohin sich der Zeitpunkt dieses Endes verschiebt.
    Die Lebenserwartung hat sich weltweit in den letzten 200 Jahren fast verdoppelt. 1840 lag sie für Mädchen in Nordeuropa zum Zeitpunkt der Geburt bei etwa 45 Jahren. Heute in Deutschland geborene Mädchen haben voraussichtlich 82 Jahre vor sich. Diese Vorhersage beruht auf der Annahme, dass die Lebensumstände und Sterblichkeitsraten von heute konstant bleiben. Allerdings weiß man über diese Umstände eines ziemlich genau: Konstant bleiben war bisher nicht ihre Stärke.
    Stellen Sie sich vor, Sie sind Teilnehmer einer Quizshow. Ihre Aufgabe ist es, die bisherige Entwicklung der Lebenserwartung in den Industrieländern in einer Kurve darzustellen. Sie beginnen mutig mit einem steilen Anstieg irgendwo im 19. Jahrhundert, als man die Bazillen und die Nützlichkeit des Händewaschens entdeckt. Im 20. Jahrhundert werden die Antibiotika erfunden, das Sterben an Infektionskrankheiten lässt nach, Sie vermerken einen weiteren Sprung in der Kurve. In jüngerer Zeit ist das Leben bekanntlich ungesünder geworden, es gibt kaum etwas, wovon man nicht Krebs bekommt, also wird die Kurve sich gegen Ende etwas abflachen. Richtig? Der Showmaster schüttelt den Kopf und überreicht Ihnen eine Solartaschenlampe als Trostpreis.
    In Wirklichkeit ist die gesuchte Kurve gar keine Kurve, sondern eine gerade Linie. In den Rekordhalterländern ist die Lebenserwartung in den letzten 150 Jahren gleichmäßig um etwa drei Monate pro Jahr gestiegen. Für die Forschung wäre es angenehmer, wenn die Entwicklung in eindeutigen Sprüngen verlaufen würde, weil die Ursachen der allgemeinen Lebensverlängerung dann offensichtlicher wären. Aber in der komplizierten Welt, in der wir stattdessen leben, ist umstritten, welche Faktoren eigentlich für den Anstieg der Lebenserwartung verantwortlich sind. Es ist ein schwieriges Unterfangen, aus den vorhandenen Daten etwa den Einfluss des medizinischen Fortschritts zu ermitteln. Menschen beharren ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Forschung darauf, immer mehrere Aspekte ihres Verhaltens auf einmal zu verändern, und zwar nicht etwa zur selben Zeit wie ihre Nachbarn. Wissenschaftler hätten es leichter, wenn alle Bürger eines Landes gleichzeitig in Fünfjahresschritten eine und nur eine ihrer Gewohnheiten ändern würden.
    Weil sich das aber nicht einmal in Diktaturen bewerkstelligen lässt, wissen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur, dass wir unsere hohe Lebenserwartung einem komplexen Zusammenspiel aus medizinischen Fortschritten, Hygiene, verbessertem Schutz vor Unfällen, gesünderer Ernährung und günstigeren Lebensgewohnheiten verdanken. Die Medizin spielt dabei nicht die Hauptrolle – die wenigen Studien, die sich darum bemühen, ihren Einfluss näher zu bestimmen, führen nur etwa 20 bis 40 Prozent des Zuwachses auf den Einfluss besserer medizinischer Versorgung zurück.
    Entsprechend schwierig ist es umgekehrt, herauszufinden, warum die Lebenserwartung in manchen Ländern hinter dem Trend zurückbleibt. Auffällig sind hier insbesondere die Niederlande und die USA, wobei die Lebenserwartung dort nicht etwa sinkt oder stagniert – sie steigt lediglich langsamer als in den übrigen Industrienationen. Auch die Entwicklung der Lebenserwartung in Russland ist verwirrend, denn zum einen war sie in den letzten 25 Jahren starken Schwankungen unterworfen, zum anderen sterben gerade Männer in Russland ungewöhnlich früh, im Schnitt mit 61 Jahren. Einer Theorie zufolge ist der hohe Alkoholkonsum der Russen zu einem Großteil für diese Lebensverkürzung verantwortlich, aber da die wenigsten Patienten ehrliche Auskunft über ihr Trinkverhalten erteilen, ist auch diese Frage wieder nicht so leicht zu klären.
    «Noch kennen wir

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