Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
vorher stark gesunkene Kindersterblichkeit zurück. Es gibt Ausnahmen in beiden Richtungen. Bangladesch, China, Brasilien und Sambia haben einen ausgeprägten Jugendüberhang, aber dort herrscht schon lange Ruhe. Umgekehrt passen der Zweite Weltkrieg und einige andere Großkonflikte nicht in die These. Da aber auch die Vertreter der Youth-Bulge-These ihr Erklärungsmodell nicht für die letztgültige Erklärung sämtlicher Kriege halten, genügen ein paar Ausnahmen nicht für eine Widerlegung. Statistische Überprüfungen der Korrelation von Youth bulge und kriegerischen Auseinandersetzungen geben bisher mal der einen, mal der anderen Seite recht.
Der rationalistischen Kriegstheorie zufolge wäre es billiger und effizienter, statt des Krieges eine detaillierte Computersimulation zu veranstalten, deren Ergebnis beide Seiten dann akzeptieren wie in einem Brettspiel. (Nur den Wählern dürfte schwer zu vermitteln sein, warum man über Nacht weite Landstriche an den Nachbarn abtritt.) Falls die Anhänger des Youth-Bulge-Modells recht haben, genügt eine solche Simulation aber nicht. Ein wichtiger Nutzen des Krieges besteht dann gerade darin, dass Menschen sterben, und zwar auf beiden Seiten. Das macht es auch für die schwächere Seite attraktiv, sich auf einen Krieg einzulassen, denn hinterher sind viele Konkurrenten tot oder ausgewandert, und für die Überlebenden wird es leichter, sich Arbeit und Status zu verschaffen.
Der Jugendüberhang als Kriegsauslöser ist ein populärer Erklärungsansatz, weil insbesondere für Bürger jenseits der 25 der Verdacht naheliegt, dass junge Männer ein Hauptquell von Unannehmlichkeiten in der Welt sind. Im Unterschied zu Andersgläubigen oder Bewohnern anderer Länder darf man jungen Männern noch ungeniert und pauschal für alles Mögliche die Schuld geben. Sie haben keine Lobby und keinen Anspruch darauf, dass man ihnen political correctness entgegenbringt. Handelte es sich um junge Frauen, sähe die Sache vermutlich anders aus. Außerdem sieht «Krieg beruht auf Ursache X» in den Medien besser aus als «Krieg wird durch ein Zusammenspiel aus 25 bekannten und einer unbekannten Anzahl unbekannter Faktoren ausgelöst». Wenn Krieg eine überschaubare Ursache hat, dann lässt er sich leicht vorhersagen, und man braucht nur einen überschaubaren Aufwand zu seiner Vermeidung betreiben – in diesem Fall durch Familienplanung.
Kritiker der These wenden ein, es handle sich wie üblich um eine Korrelation und keinen Kausalzusammenhang. Länder, in denen viele 15- bis 24-Jährige leben, unterscheiden sich auch in anderen Punkten von Nationen mit geringem oder ganz fehlendem Bevölkerungswachstum. Der Jugendüberhang könnte ein Indikator möglicher Probleme sein, das macht ihn aber noch nicht zur Ursache. Außerdem ist pauschale Verdächtigung von Bevölkerungsgruppen auch dann unfein und wenig erkenntnisfördernd, wenn man die Gruppe zur Abwechslung durch Alter und Geschlecht definiert anstatt durch Hautfarbe oder Religion. Und schließlich kommt nicht immer, wenn die Jugend unzufrieden ist, gleich ein Krieg dabei heraus. Oft genug entstehen auch neue Musikrichtungen, friedliche soziale Umwälzungen oder das Internet.
Es sieht nicht so aus, als gäbe es eine einzelne notwendige oder hinreichende Ursache für Kriege. Ähnlich wie bei der →Erdbebenvorhersage kann man statistische Vorhersagen treffen, wie viele Kriege in den nächsten Jahren ausbrechen werden, aber wann und wo das passieren wird, ist eine viel schwieriger zu beantwortende Frage. Die Kriegsvorhersage ist aber ein noch wesentlich komplizierteres Geschäft als die Erdbebenvorhersage. Schon die Frage nach dem Warum ist bei Erdbeben einfacher zu beantworten, und nach aktuellem Wissensstand sind bei Erdbeben immerhin keine persönlichen Entscheidungen im Spiel.
Eines Tages wird sich das alles bessern, immerhin verfügen wir heute auch über eine recht zuverlässige Wettervorhersage und müssen uns nicht mehr auf Regeln verlassen, die mit «Kräht der Hahn auf dem Mist» beginnen. Wer seine Chancen auf ein friedliches Leben optimieren möchte, lässt sich bis zur Klärung der Details am besten erst mal in einem von Demokratien umgebenen, überwiegend flachen, gleichmäßig besiedelten Land mit uncool gekleideter Armee und geringen Rohstoffexporten nieder, in dem nicht allzu viele junge Männer wohnen.
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Lebenserwartung
Ich warte auf den Tod und auf Journalisten.
Jeanne Calment
Dass wir eines
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