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Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)

Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)

Titel: Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz , Kai Schreiber
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Gehirnfunktionen nämlich. Die populären Behauptungen dazu sind zwar überwiegend Mythen – weder ist die rechte Hirnhälfte ein brotloser Künstler, noch die linke ein analytischer Meisterdetektiv –, aber dass die beiden Hälften verschiedene Tätigkeitsschwerpunkte haben, ist unbestritten, und einige dieser Schwerpunkte kennt man auch schon. Die linke Hemisphäre dominiert zum Beispiel das Sprechen, die rechte die Orientierung im Raum sowie die Wahrnehmung und Produktion von Musik, die linke arbeitet eher seriell und widmet sich Details in Folge, während die rechte eher aufs Ganze sieht. Das alles weiß man aus Untersuchungen von «Split Brain»-Patienten, denen aus medizinischen Gründen die Verbindung zwischen den beiden Hirnhälften durchtrennt werden musste – oft, um epileptische Anfälle zu unterbinden. So getrennte Menschen verhalten sich auf den ersten Blick ganz normal, jedenfalls nicht anders als vor der Operation, aber schaut man genauer hin, stellt man Merkwürdiges fest: Es scheint, als teilten sich in solchen Patienten zwei Gehirne einen Körper. Durch geschickte Wahl der Versuchsanordnung kann man gezielt mit der einen oder der anderen Hälfte in Kontakt treten, was – wie zu erwarten – zu sehr seltsamen Situationen führt.
    In einem der berühmtesten Experimente wird den Probanden in ihrem linken und in ihrem rechten Gesichtsfeld je ein Bild gezeigt. Die linke Gehirnhälfte sieht nur das rechte Bild, in diesem Fall eine Schneelandschaft, und die rechte Hälfte sieht links ein Huhn (zu dieser Vertauschung von links und rechts gleich mehr). Fordert man nun den Probanden auf, mit der rechten und der linken Hand je ein zum Bild passendes Kärtchen aus einem Sortiment auszuwählen, dann wählt die linke Gehirnhälfte, die das Huhn gesehen hat, ein Hühnerbein und die rechte, die die Schneelandschaft sah, eine Schippe. Interessant wird es nun, wenn man den Probanden bittet, die Wahl der Schippe zu erklären. Die linke Hirnhälfte steuert die Sprache, deshalb ist sie es, die antwortet, und zwar, dass man mit einer Schippe prima den Hühnerstall ausmisten kann. Das ist zwar plausibel, gleichzeitig aber auch von der linken Hirnhälfte, die vom Schnee nichts gesehen hat, ausgedacht. Das vielleicht pikanteste Detail des Experiments ist, dass den Probanden – genauer gesagt ihrer linken Hirnhälfte – diese Erfindung nicht bewusst ist.
    Hierin liegt ein möglicher Schlüssel dazu, warum es diese Lateralisierung der Gehirnfunktionen überhaupt gibt: Im Zuge der Evolution der höheren Gehirnfunktionen, besagt eine Theorie, hätte es ziemliches Durcheinander im Kopf gegeben, wenn beide Hälften nebeneinanderher dieselben Verarbeitungen durchgeführt hätten und am Ende womöglich zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen wären. Bei der Lösung von Konflikten hilft es bekanntlich, wenn man einen der Konfliktpartner wegevolviert, und so kam es, dass viele höhere Funktionen auf nur einer Seite bearbeitet wurden. Das klingt logisch, deshalb muss es aber noch lange nicht wahr sein. Es gibt ein Detail, das die ganze Geschichte gleich wieder fragwürdig erscheinen lässt: Starke Lateralisierung nämlich tritt überwiegend bei Rechtshändern auf – bei Linkshändern ist die Verteilung der Gehirnfunktionen sehr viel ausgewogener. Wenn aber parallele Verarbeitung zu innerer Verwirrung führt und die innere Verwirrung dazu, dass man vom Tiger gefressen wird oder vom Baum fällt, dann wäre seltsam, dass Linkshänder nicht längst aufgegessen sind.
    Aber das ist nicht das Einzige, was an der Aufteilung der Menschen in Rechts- und Linkshänder sonderbar ist. Menschen halten sich ja gerne mal für was Besonderes, die Liste der Fähigkeiten und Eigenschaften, von denen man irgendwann mal dachte, der Mensch allein habe sie, ist lang, aber die Liste derer, bei denen das auch tatsächlich stimmt, wird beständig kürzer. Händigkeit stand wie praktisch alles andere auch mal auf der ersten der beiden Listen. Erst dachte man, Tiere hätten keine Händigkeit und das Auftreten beim Menschen hinge mit der lateralisierten Entwicklung der Sprache zusammen. Dann machten sich Biologen die Mühe, tatsächlich nachzusehen, und es stellte sich heraus, dass nahezu alle Tiere Asymmetrien aufweisen. Bei den meisten untersuchten Spezies benutzen Individuen bevorzugt eine Hand, Pfote, Tatze oder Flosse, aber ob das dann die linke oder rechte ist, verteilt sich in der Population zufällig und hängt mehr davon ab, mit welcher Seite das

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