Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
junge Tier seiner Mutter zuerst die Hand gibt, als von genetischen Einflüssen. Als man in den 70ern versuchte, rechtspfötige Mäuse zu züchten – aus wissenschaftlicher Neugier, nicht etwa, weil die beim Mäuseboxen einen Vorteil hätten –, klappte das überhaupt nicht: Die Pfötigkeit der Maus und vieler anderer Tiere ist tatsächlich nicht nachweisbar genetisch bedingt, sondern scheint zufällig zu sein.
Deutlich weniger zufällig geht es beim Menschen zu, wo eine große Mehrheit rechtshändig ist, wiederum eine Mehrheit des Rests linkshändig und die übrigen entweder wechselhändig sind, also für verschiedene Aufgaben verschiedene Hände bevorzugt benutzen, oder – und das kommt am seltensten vor – echt beidhändig. Genaue Zahlen sind dazu nicht zu bekommen, weil es gar kein allgemein akzeptiertes Kriterium für Händigkeit gibt, aber der Anteil an Rechtshändern liegt beim Menschen in der Größenordnung von 80 bis 90 Prozent, und diese Verhältnisse bleiben auch über Kulturgrenzen hinweg stabil. Frauen sind statistisch ein bisschen weniger rechtshändig als Männer, was möglicherweise mit dem Sexualhormon Testosteron zusammenhängt, dem Frauen im Mutterleib weniger ausgesetzt sind als Männer. Was das für die Entwicklung der Embryonen bedeutet, ist allerdings schon in der Geschlechtsforschung sehr umstritten, und eindeutige Belege sind schwer zu bekommen.
Man weiß also ein bisschen was darüber, womit Rechts- oder Linkshändigkeit so zusammen auftritt, aber im Ganzen tappt man im Dunkeln, was den Grund für die überwiegende Rechtshändigkeit des Menschen angeht. Klar ist nur, dass die Händigkeit auch irgendwie mit der Asymmetrie zwischen linker und rechter Gehirnhälfte zu tun hat. Zum Beispiel sind, wie oben erwähnt, Linkshänderhirne weit weniger lateralisiert als Rechtshänderhirne. Aber auch da ist reichlich unklar, wozu das eigentlich gut sein könnte. Oder, wenn es womöglich zu gar nichts gut sein sollte, wozu das dann wieder gut ist.
Interessanterweise sind die einzigen Tiere, bei denen annähernd vergleichbare Verhältnisse gefunden wurden, Papageien, die Klugscheißer unter den Vögeln. Die meisten Papageienarten benutzen fürs Aufsammeln der Dinge, die Papageien gut finden, nämlich die linke Kralle. Man fragt sich natürlich sofort, warum sie die linke und nicht wie Menschen die rechte Seite bevorzugen und was das eigentlich für Dinge sind, die Papageien so gut finden, dass sie sie aufsammeln wollen. Man wird nicht sonderlich überrascht sein, dass es auf diese Fragen – bis auf die letzte – noch keine sonderlich plausiblen Antworten gibt. Eine Theorie besagt, dass Vorlieben für bestimmte Krallen bei Vogelarten auftreten, die ihre Krallen zum Beispiel zum Scharren nach Futter oder beim Fressen benutzen. So findet man bei Hühnern eine Vorliebe für die rechte Kralle, bei Tauben dagegen keine. Wenn das ein allgemeines Prinzip sein sollte, wäre jedoch nicht einzusehen, dass außer den Menschen keine Primaten gefunden wurden, bei denen klare Händigkeit auftritt. Die Antwort auf die Frage nach den Aufsammelvorlieben von Papageien ist übrigens: Das hängt vom Papagei ab.
Aber zurück zur oben aufgeworfenen Vertauschung von links und rechts im Sehsystem und bei der Körpersteuerung: Bei den allermeisten Tierarten ist die linke Gehirnhälfte für die rechte Körperhälfte zuständig und umgekehrt, und auch das Sehfeld ist so aufgeteilt: Was links zu sehen ist, wird vom rechten Gehirn bearbeitet. Warum das so ist, ist unbekannt. Physiologisch funktioniert es jedenfalls so, dass die Nervenfasern des Rückenmarks auf einer bestimmten Ebene im Hirnstamm mit ihrer eigenen Körperseite nichts zu tun haben wollen und demonstrativ die Seite wechseln. Vielleicht leiden sie auch nur an Rents-lichks-Schwäche und verlaufen sich. Das kann im Hirnstamm schon mal passieren. Beim Sehnerv ist die Sache deutlich weniger dramatisch, weil die Sehnerven sich ohnehin hinter den Augen im «optischen Chiasma» treffen. Dort wechseln dann einfach die Fasern, die jeweils von der Netzhauthälfte kommen, die der Nase näher ist, die Seite. Die nasennahe Netzhaut des linken Auges sieht die linke Welthälfte und die des rechten die rechte. Weil genau diese Fasern aber auf dem Weg zum Gehirn die Kopfseite wechseln, sieht jetzt die linke Gehirnhälfte die rechte Welthälfte und umgekehrt. Wollte man stattdessen die linke Hirnhälfte die linke Welthälfte sehen lassen, müssten einfach nur die Fasern der
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