Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
Objekten unterscheiden. Und das Ergebnis deutet darauf hin, dass wir das Loch nicht direkt als solches wahrnehmen, sondern nur auf Umwegen.
Um diese zweite Schlussfolgerung zu verstehen, muss man sich eines klarmachen: Wenn ein Loch eine konkave Form hat, dann hat der Rand der Aussparung genau die gegensätzliche Form, ist also konvex. Unabhängig von diesen Lochgeschichten geht man schon länger davon aus, dass das Gehirn konvexe Formen lieber hat als konkave. Für Bertamini ist die Sache damit klar: Seine Studenten «sehen» das konkave Loch schneller als das konkave Objekt, weil sie in Wahrheit die konvexe Form erkennen, die das Loch umgibt. Mit anderen Worten: Der Rand gehört nicht zum Loch, sondern zum umgebenden Objekt. Palmers Paradoxon ist gelöst.
Allerdings nur zur Hälfte. Wenn der Rand zum umgebenden Objekt gehört, dann ist immer noch nicht geklärt, wie wir ein Loch in der Form von Rubins Vase als Vase erkennen können und nicht nur als zwei Gesichter, was die korrekte Lesart wäre, wenn man das Objekt erkennt und nicht das Loch. Offenbar wird die Lochform nur indirekt erkannt eine These, die durch ganz andere Experimente bestätigt wird. Nur ein Beispiel: Wenn man eine bestimmte Form in einer Menge aus anderen Formen sucht, dann fällt das leichter, wenn man Objekte sucht und nicht Löcher. Die Lochwahrnehmung erfordert zusätzliche Arbeit. Das Loch selbst wäre dann ein Konstrukt unseres Gehirns, in gewisser Weise eine Illusion, genau so, wie die Gestaltpsychologie sich das vorstellte.
Die Details dieses Extraaufwandes zur Locherkennung sind unklar. Bertamini spekuliert ein wenig: Entweder veralbern wir uns selbst und bilden uns kurzfristig ein, das Loch sei eben ein Objekt und das Objekt der Hintergrund, auch wenn wir eigentlich wissen, dass es anders ist. Oder aber wir sehen wirklich den Rand des Objekts und rechnen dann hinterher daraus die Form des Lochs aus – aus den zwei Gesichtern wird die Vase. Beides sind bislang unbewiesene Behauptungen; eventuell wird man sich die Gehirne der Probanden von innen ansehen müssen, wobei auch das nicht unproblematisch ist (→Funktionelle Magnetresonanztomographie).
Zum Glück bietet die Welt normalerweise deutlich mehr Informationen zur Locherkennung als die stark vereinfachten Anordnungen in psychologischen Experimenten. Stephen Palmer demonstriert mit Hilfe von noch mehr Studenten, dass auch Informationen über die Raumtiefe eine Rolle spielen, Schatten zum Beispiel, die uns mitteilen, welcher Teil eines Bildes weiter weg ist und damit zum Hintergrund gehört. Außerdem sieht man natürlich auch in einem Loch irgendwas, eine weitere wichtige Information. Wenn man an einer Stelle am Dach blauen Himmel mit Wolken sieht, dann kommt das Gehirn, das schlaue Ding, schnell auf die Idee, dass es sich um ein Loch handelt, Rand hin oder her.
Jetzt, wo wir wissen, dass Löcher nur indirekt wahrgenommen werden, weil ihr Rand in Wahrheit zum umgebenden Objekt gehört, könnte man eventuell noch einmal die ontologischen Positionen in der Lochfrage genauer betrachten. Die schon erwähnten Casati und Varzi meinen, man solle Löcher und ihre Eigenschaften ernst nehmen: «Man kann klar sagen, dass Löcher Formen haben – Formen, die wir erkennen, messen, vergleichen und ändern können», so argumentieren die beiden. Das scheint nicht zu stimmen; wir erkennen gar nicht die Lochform, sondern eben die Umgebung, was deutlich besser zur materialistischen Sichtweise des Ehepaars Lewis passt. Inwieweit die psychologischen Experimente für ontologische Fragen relevant sind, ist allerdings fraglich. Soll man die schwerwiegende Entscheidung, ob es Löcher gibt oder nicht, von ein paar englischen Studenten abhängig machen?
Obwohl überall anerkannt wird, dass Löcher unglaublich interessant sind, gibt es bislang nicht gerade viele Experten, die sich dem Loch und seiner Wahrnehmung widmen. Wer sich vorstellen kann, ein paar Jahre lang Löcher herzustellen, sei es aus Pappe oder am Computerbildschirm, um sie dann Studenten zu zeigen, der sollte dies unbedingt tun. Denn, um zum letzten Mal Tucholsky zu zitieren: «Loch ist immer gut.»
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Mathematik
Leonard: At least I didn’t have to invent 26 dimensions to get the math to work .
Sheldon: I didn’t invent them. They’re there.
Leonard: Yeah? In what universe?
Sheldon: In all of them, that’s the point!
The Big Bang Theory
Was ist die Zahl 7? Diese Frage im Bekanntenkreis zu stellen, ist ein
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