Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
Partyspiel von unterschätztem Unterhaltungswert. Im besten Fall erzielt man zunächst verstörte Gesichter und kurze Zeit später widersprüchliche Antworten. Die einen werden sagen, dass die Zahl 7 so ein Ding ist wie ein Tisch oder ein Stuhl, nur unsichtbar, andere meinen, die Zahl 7 sei nur ausgedacht, und wieder andere behaupten, dass es die Zahl 7 überhaupt nicht gibt. Selbst wenn zwei Personen am Anfang der Diskussion scheinbar der gleichen Meinung sind, stellt sich oft innerhalb weniger Minuten heraus, dass sie etwas ganz anderes meinen . Vielleicht ist es beruhigend zu wissen, dass Philosophen über diese Frage auf ganz ähnliche Art diskutieren, wenn auch mit ausgefeilteren Argumenten. Das liegt vermutlich einfach an der jahrelangen Übung.
Die Zahl 7 gehört zu den unübersichtlichen Gerätschaften, die in mathematischen Formeln herumstehen. Das Problem ist nicht nur, die Natur und Existenz der Zahl 7 zu erklären, sondern die von Zahlen überhaupt, oder noch allgemeiner: die aller mathematischen Objekte, also Zahlen, Funktionen, Mengen, Dreiecke, Vektoren, Folgen, Matrizen und so weiter. Egal, wie man diese Objekte am Ende erklärt, man darf sie dabei nicht kaputtspielen. Die Mathematik muss weiterhin funktionieren, unter anderem, weil man sie dringend für unsere liebgewonnenen naturwissenschaftlichen Theorien benötigt.
Naturgesetze enthalten neben den handelsüblichen mathematischen Konstrukten wie Zahlen und Grundrechenarten auch Logarithmen, Sinusfunktionen, Kreuzprodukte, Ableitungen und Integrale, mit anderen Worten: kompliziertes Zeug, bei dem der Laie schon mal dem Gedanken verfällt, man könne es eventuell einfach abschaffen. Dagegen würden aber nicht nur Mathematiker, sondern auch Physiker, Astronomen, Chemiker und ein paar andere Berufszweige protestieren. Man könnte einwenden, diese Dinge seien von Mathematikern nur erfunden worden, weil man sie für die anderen Wissenschaften gebraucht hat, aber das stimmt nicht. Viele phantastisch nutzlos anmutende mathematische Objekte wurden erst von Mathematikern «erfunden», und Jahre später stellte sich heraus, dass man sie dringend in der Physik braucht.
In irgendeiner Form gibt es dieses mathematische Zeug da draußen, jedenfalls behaupten das die Leute, die man am besten als «Platonismus und Söhne GmbH» zusammenfasst, eine altehrwürdige Firma in der Philosophie, die seit mehr als 2000 Jahren im Geschäft ist. Ihre Palette aus Theorien geht zurück auf die Ideenlehre des griechischen Philosophen Platon, in der die Welt aus zwei Teilen besteht: der Welt der Gegenstände (das ist alles, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können) und der Welt der Ideen, die abstrakte Ideale enthält, das Gute, das Schöne, das Wahre und ähnlich zweifelhafte Gestalten. Die Platonisten behaupten, dass es mathematische Strukturen in einer Art Extrawelt tatsächlich gibt, und zwar unabhängig von mehr oder weniger intelligenten Wesen, die Mathematik betreiben. Mathematiker erfinden ihre Formeln nicht, sondern sie entdecken sie in dieser Extrawelt, so wie Zoologen neue Tiere im Dschungel entdecken. Einziger Unterschied: Die Extrawelt der Mathematiker kann man weder riechen noch hören noch sehen noch anfassen, man kann nicht hinfahren, und sie ist für alle Ewigkeiten gleich.
Eine solche immaterielle Extrawelt hat viele schöne Vorteile, wenn man erklären will, wie Mathematik funktioniert. Ein gutes Beispiel ist die im «Lexikon des Unwissens» erklärte Riemann-Hypothese, eine im Jahr 1859 von Bernhard Riemann angestellte Vermutung über die Nullstellen der sogenannten Riemann’schen Zetafunktion. Auch wenn wir noch nichts über den Wahrheitsgehalt der Vermutung wissen, für Platoniker ist sie eindeutig entweder wahr oder falsch, und zwar heute schon. Es wäre in der Tat seltsam zu behaupten, die Riemann-Hypothese sei erst dann wahr, wenn jemand sie zweifelsfrei beweist. Der Platoniker kann auch leicht erklären, warum so viele absurde mathematische Konstrukte in der Physik auftauchen: Sie waren einfach schon immer da und wurden nicht erst nach und nach von Mathematikern erfunden.
Vielen wird unbehaglich zumute, wenn sie von einer immateriellen Welt hören, in der Zeug wie die Zahl 7 oder der Satz des Pythagoras herumliegen. Ist das nicht verdächtig nahe an abergläubischem Hokuspokus? Wenn man damit mal anfängt, wird man nicht als Nächstes an Astrologie, Erdstrahlen und den Klabautermann glauben? Grund dieses Unbehagens ist die Ansicht, dass es
Weitere Kostenlose Bücher