Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
Tieren sind schon mal ziemlich dürftig. Es mangelt an systematischen Studien, stattdessen gibt es jede Menge anekdotische Berichte über Tumore bei den unterschiedlichsten Tieren. Beschränkt man sich auf Säugetiere, dann reicht das Spektrum vom Opossum über Schneeleoparden, Ratten, Murmeltiere, Seelöwen bis zu diversen Delphin- und Walarten.
Wie oft diese ganzen Wesen an Krebs erkranken, ist mit solchen Fallberichten schwer herauszufinden. Tiere sind meistens schlecht versichert und können sich daher keine Vorsorgeuntersuchungen leisten. Wir erfahren daher nur dann von Tumoren bei Tieren, wenn sie daran sterben, was ziemlich oft geschieht, weil sie sich nämlich auch keine Therapie leisten können. Der Anteil der Tiere, der an Krebs stirbt, variiert stark, hängt aber ganz offensichtlich nicht entscheidend von der Körpergröße ab. Zum Beispiel sterben die meisten Mäuse an Krebs, dagegen sind die nicht wesentlich größeren Nacktmulle fast krebsfrei. Auch bei größeren Tieren findet man große Schwankungen; in einer Gruppe von schwedischen Rehen starben 2 Prozent an Krebs, bei Hunden 20 Prozent und in Populationen tasmanischer Beutelteufel bis zu 80 Prozent. Zum Vergleich: Etwa ein Viertel bis ein Drittel aller Menschen handelt sich im Laufe des Lebens irgendeine Art Krebs ein. Die hohe Zahl krebskranker Beutelteufel ist immerhin erklärbar: Die Beutelteufel werden seit den 1990er Jahren von einem speziellen Gesichtstumor heimgesucht, der nicht nur tödlich, sondern auch ansteckend ist und außerdem extrem hässlich aussieht.
Verglichen mit der Untersuchung anderer Tierarten steht die Walkrebsforschung auf soliden Füßen. Gut erforscht sind zum Beispiel die Todesursachen bei einer Gruppe von Beluga-Walen, die im Sankt-Lorenz-Strom in Ostkanada wohnt. Bei ihnen liegt das Krebsrisiko pro Organismus offenbar im selben Bereich wie bei Menschen, allerdings könnte das damit zu tun haben, dass diese Belugas in Wasser herumschwimmen, das übermäßig stark durch die Abwässer von Industrie und Landwirtschaft belastet ist – die Passivraucher unter den Walen.
In allen anderen Walpopulationen scheint Krebs deutlich seltener vorzukommen; unter den toten Walen, die weltweit an Land gespült werden, finden sich nur wenige, bei denen Krebs die Todesursache war. Seziert man Wale, die auf andere Weise gestorben sind, etwa weil plötzlich eine Harpune in ihrem Leib auftauchte, so findet man ebenfalls kaum Tumore. Zugegeben, diese Daten sind nicht ideal, aber zumindest aussagekräftig genug, um auszuschließen, dass todbringende Tumore bei Walen deutlich häufiger vorkommen als bei viel kleineren Tieren.
Elefanten, Nashörner, Löwen oder Tiger sind zwar nicht ganz so groß wie Wale, werden dafür aber viel häufiger untersucht, insbesondere weil man sie einfacher als Wale in Zoos halten kann. Der amerikanische Biologe John D. Nagy und seine Kollegen durchsuchten im Jahr 2007 alle tiermedizinischen Publikationen und fanden nur sehr wenige dokumentierte Fälle von Krebs bei diesen Tieren (ein Dutzend oder weniger pro Art). Man kann aus solchen anekdotischen Berichten zwar keine harten Zahlen ableiten. Doch Elefanten wiegen immerhin 4000 Kilogramm, 50-mal mehr als Menschen. Wir suchen also nach einem gewaltigen Effekt, nicht nur nach irgendwelchen Abweichungen in der dritten Stelle nach dem Komma. Wenn das Krebsvorkommen wirklich mit der Körpergröße zunähme, wäre das aufgefallen. Oder etwas genauer: Wenn das Krebsrisiko für einen Klumpen Tierzellen immer gleich groß wäre, dann müssten mindestens 96 Prozent aller Elefanten im Laufe ihres Lebens Krebs kriegen. Für Leute, die es mit der Prozentrechnung nicht so genau nehmen: eigentlich fast alle.
Eine ganze Reihe trivialer Lösungsvorschläge für Petos Paradoxon sind ziemlich sicher falsch. So sind manche Tiere weniger Umweltgiften ausgesetzt als andere. Außerdem sind bestimmte Gewebearten wie Knorpel weniger anfällig für Krebs. Der Knorpelanteil wiederum ist nicht in jedem Tier gleich. Diese Umstände helfen zwar, die Unterschiede im Krebsrisiko zu erklären, aber sie reichen bei weitem nicht aus, um den riesigen Effekt zu produzieren, den man erwarten sollte, und damit Petos Paradoxon aufzulösen.
Stattdessen muss man sich wohl genauer ansehen, wie Krebs entsteht. Alle Zellen in unserem Körper enthalten ein Programm mit genauen Instruktionen, wie sie sich zu verhalten haben – den genetischen Code. Sie vermehren sich wie Pantoffeltierchen durch Teilung.
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