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Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)

Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)

Titel: Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz , Kai Schreiber
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Bettruhe, ab den 1960er Jahren galt fettarme und kohlenhydratreiche Ernährung als löblich, in den 1970er Jahren kam die Empfehlung hinzu, zum Abnehmen möglichst viel Sport zu treiben, und seit der Jahrtausendwende haben wieder die kohlenhydratarmen («Low Carb») Diäten Konjunktur.
    Alle diese Empfehlungen sind heftig umstritten. Der Nutzen von Sport beim Abnehmen ließ sich bisher so wenig belegen, dass empfehlungsveröffentlichende Stellen wie das Bundesministerium für Gesundheit mittlerweile nur noch die allgemeinen Gesundheitsvorteile des Spazierengehens und Treppensteigens herausstreichen. Ein Hauptstreitthema ist die Frage, ob Low-Fat-Diäten besser sind als Low-Carb-Diäten oder ob die Details egal sind und es nur auf die Kalorienreduktion ankommt. Ebenfalls umstritten ist die «calories in, calories out»-Hypothese, die besagt, dass der Körper überschüssige Kalorien unbarmherzig und vollständig in Fettpolster umwandelt. Ihre Gegner vertreten die These, dass Gewichtszu- und -abnahme hormonell geregelt werden und dem Körper selbst große Schwankungen der Kalorienzufuhr weitgehend egal sind. Jedenfalls, solange die verzehrten Lebensmittel nicht seine Hormonregulation durcheinanderbringen. (Welche Lebensmittel das tun, man errät es, ist umstritten.)
    Umstritten ist auch, ob die Antworten auf diese Fragen in der Praxis irgendwelche Auswirkungen haben. Bisher ist jedenfalls noch kein Mittel gefunden worden, das in Diätexperimenten zu nennenswertem oder gar länger anhaltendem Gewichtsverlust führt. Eine 2007 erschienene Arbeit der Psychologinnen Traci Mann und Kolleginnen kommt zu dem Ergebnis, dass alle bekannten Methoden zur Gewichtsabnahme langfristig wirkungslos sind. Für die Veröffentlichung wurden 31 Studien ausgewertet, die jeweils einen Beobachtungszeitraum von zwei bis fünf Jahren umfassten. Abschließend schreiben die Autorinnen: «Es ist klar, dass Diäten bei den meisten Menschen nicht zu dauerhaftem Gewichtsverlust führen, weitere Untersuchungen der Auswirkungen von Diäten auf das Körpergewicht sind nicht nötig. Die Forderung nach gründlicheren Studien wirkt wenig zielführend, denn bekanntlich geht bei Diätstudien ‹ein gründlicheres methodisches Vorgehen mit geringerem Erfolg einher›. (…) Wir gehen weder davon aus, dass weitere Untersuchungen existierender Diäten zu einer anderen Einschätzung der Lage führen werden, noch glauben wir an das Auftauchen einer neuen Diät mit günstigeren Ergebnissen.»
    Traci Mann bemängelt die methodischen Defizite der meisten Diätstudien, die Diäten erfolgreicher aussehen lassen, als sie tatsächlich sind. Erstens verlassen sich viele Studien auf die Aussagen der Teilnehmer, anstatt nachzuwiegen. Zweitens werden oft die Diätabbrecher im Ergebnis nicht berücksichtigt; am Ende der Studien schrumpft die Teilnehmerzahl im Schnitt auf ein Drittel, und gerade bei den Abbrechern fruchtet die Diät vermutlich am wenigsten. Drittens betrachten die meisten Studien nur die ersten Monate einer Diät, in denen einige Teilnehmer tatsächlich bis zu zehn Prozent ihres Körpergewichts verlieren. Schon kurze Zeit später ist von diesem Erfolg aber nichts mehr zu sehen, und ein bis zwei Drittel der Studienteilnehmer wiegen mehr als vor Beginn der Diät. Unabhängig vom Diäterfolg ließ sich den ausgewerteten Studien kein nennenswerter Vorteil für die Gesundheit entnehmen; im Gegenteil sieht es derzeit so aus, als seien starke Gewichtsschwankungen ein Risikofaktor für diverse Erkrankungen. Auch Aufkleber mit Kalorienhinweisen führen nicht zu messbaren Verhaltensänderungen, und der Erfolg von Abspeckprogrammen für übergewichtige Kinder ist ebenso wenig belegt wie bei Erwachsenen. Außerdem werden diese Programme als Auslöser späterer Essstörungen kritisiert.
    Dieses ungewöhnlich trostlose Verhältnis von Anstrengung und Erfolg führt viele Forscher dazu, die Grundannahmen zu hinterfragen. Sind Bewegungsmangel und ein Überfluss an kalorienreichen Nahrungsmitteln überhaupt die wesentliche Ursache des Übergewichts? Tatsächlich ist ein kausaler Zusammenhang schwer nachzuweisen. Das hat zum einen mit dem oben beschriebenen Problem zu tun: Menschen ändern nie nur einen einzigen Aspekt ihres Verhaltens. Zum anderen kommt hier ein Satz ins Spiel, den eigentlich jeder Forscher und Wissenschaftsjournalist als Kreuzstichstickerei über seinen Schreibtisch hängen sollte: «Korrelation ist nicht gleich Kausalität.» Wenn zwei Dinge, nennen wir sie

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