Das neue Philosophenportal
über Aristoteles, sondern gänzlich über das Vermögen der Vernunft
hinaus.
Dabei stützt Thomas die Glaubensinhalte, wenn immer möglich, durch Vernunftargumente. So widerspricht in seinen Augen die
Annahme eines immer schon vorhandenen Urstoffs der Idee Gottes. Alles, was ist, muss seine Ursache in Gott haben. Es kann
also keinen Urstoff geben, der nicht von Gott geschaffen wurde, also vor der Schöpfung existiert hat. Daher tritt die Welt
insgesamt erst durch die Schöpfung in die Existenz. Sie ist folglich nicht ewig, sondern hat einen Anfang in der Zeit.
Diese geschaffene Welt hat, ähnlich wie bei Aristoteles, einen hierarchischen, also einer Rangordnung folgenden Stufenbau.
In der Tradition der klassischen griechischen Philosophie gilt Thomas die geistige Welt gegenüber der materiellen als höherstehend
und höherwertig, doch beide sind durch einen allmählichen Übergang miteinander verbunden. Ganz unten findet man die anorganische
Natur, auf die die organische Welt der Tiere folgt. Der aus Leib und Seele zusammengesetzte Mensch ist das Scharnier zur rein
geistigen Welt. Über ihm stehen die Engel, von deren Existenz Thomas, dem allgemeinen mittelalterlichen Denken entsprechend,
ganz selbstverständlich ausgeht. Als nicht-stoffliche Wesen sind sie unsterblich und innerhalb der Seinsordnung näher an Gott
als der Mensch. Engel haben keine natürlichen Anlagen zum Bösen wie der Mensch, sie können aber, wie im Falle Luzifers, zu
bösen Engeln werden, wenn sie die Unterordnung gegenüber Gott nicht respektieren. Dieser steht, wie der unbewegte Beweger
des Aristoteles, als Ursprung und Ziel der Welt an der Spitze der Wirklichkeitspyramide.
Allerdings, so Thomas, »existieren« rein geistige Wesenheiten wie Engel nicht genau in dem gleichen Sinne, wie wir sagen:
»Der Baum dort existiert.« Wenn wir von geistigen Wesenheiten behaupten, dass sie existieren, verwenden wir den Begriff lediglich
in analoger Weise. Wir haben eine gewisse, aber keine genaue Vorstellung davon.
Deshalb legt Thomas auch einige Vorsicht an den Tag, wenn es um die »Existenz« Gottes geht. Als Glaubenswahrheit ist sie unbestritten. Schwierig wird es dann, wenn wir unser Alltagsverständnis von »Existenz« auf Gott übertragen wollen. Dies wirft er Anselm
von Canterbury, dem ersten großen Philosophen der Scholastik, vor, der zweihundert Jahre zuvor den sogenannten »ontologischen
Gottesbeweis« aufgestellt hatte. Anselm hatte in der Definition Gottes schon die Garantie dafür gesehen, dass er auch existiert.
Er hatte, wie die Fachphilosophen sagen, aus dem »Sein« Gottes (griech. »on«= »Seiendes«) seine »Existenz« abgeleitet. Zur
Definition Gottes, so Anselm, gehört es, dass er vollkommen ist, und zur Vollkommenheit gehört notwendigerweise auch die Existenz.
Thomas hält dem entgegen, dass wir »von Gott das Was nicht wissen«, wir also über Gottes Eigenschaften nichts aussagen können.
Mit anderen Worten: Eine ausreichend gesicherte Definition Gottes liegt außerhalb unseres Vermögens.
Um mithilfe der Vernunft zu Gott zu gelangen, dürfen wir nach Thomas nicht den Weg der Begriffsanalyse, sondern müssen den
Weg über die Welt und ihre Gesetzmäßigkeiten nehmen. Genauer gesagt: Es gibt für Thomas fünf Wege, die zu Gott führen.
Nehmen wir den zweiten dieser Wege, der auch spätere Denker immer wieder beschäftigt hat. Es ist eine Form des sogenannten
»kosmologischen« Gottesbeweises: Gott ist dabei eine notwendige Voraussetzung für den Kosmos, für die Welt, wie sie uns mit
ihren Gesetzmäßigkeiten gegeben ist. Aus der Tatsache, dass jedes Ereignis als Wirkung einer Ursache aufgefasst werden kann,
schließt Thomas, dass es eine erste Ursache geben muss, die den ganzen Prozess erst in Gang gesetzt hat. Ansonsten müssten
wir die Reihe der Ursachen bis ins Unendliche strecken, was unweigerlich zur These von der Ewigkeit der Welt führen würde.
Wir kommen also, von der Beobachtung der kausalen Verknüpfungen aller Ereignisse, zu Gott als der ersten Ursache allen Geschehens.
Thomas geht jedes Mal nach dem gleichen Muster vor: Er beobachtet Zusammenhänge in der Welt und schließt auf Gott als den
Urheber, die Klammer und den Ausgangspunkt dieser Zusammenhänge. Von der Begrenztheit und Endlichkeit der Welt schließt er
auf die Notwendigkeit Gottes als der Unendlichkeit und Unbegrenztheit.
Die Gottesbeweise der Scholastik waren Ausdruck des
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