Das neue Philosophenportal
Gott. Die ersteren beschreiben den Bereich der Klugheit, die letzteren den Bereich der Weisheit. Auch die Klugheit
hat bei Thomas als eine ethisch wertvolle Haltung ihren Platz und wird nicht als Ablenkung vom Glauben abgelehnt. Weisheit
baut bei Thomas auf der Klugheit auf. Das Lebensideal der griechisch-römischen Ethik wird nun, in neuer religiöser Aufmachung,
zur wahren christlichen Lebenshaltung.
Die Frage, in welcher Lebensform sich ein glückliches Leben ausdrückt, hatte die Antike meist mit zwei einander entgegengesetzten
Varianten beantwortet: dem aktiven, tätigen Leben, der sogenannten »vita activa«, und dem zurückgezogenen, der Kontemplation
gewidmeten Leben, der »vita contemplativa«. Auch hier orientiert sich Thomas an den griechischen Klassikern Platon und Aristoteles,
die sich beide für die philosophische Kontemplation als höchste Lebensform ausgesprochen hatten. Erst in dem kontemplativen,
oder, wie Thomas es nennt, dem »beschauenden« Leben kann sich Weisheit und damit der Bezug zu Gott entfalten, weil nur hier
der wichtigste, nämlich der geistige Teil des Menschen seiner Bestimmung zugeführt wird. An die Stelle der rein rationalen
Kontemplation ist bei Thomas die religiöse Kontemplation getreten.
Überall in der
Summe der Theologie
sind die Spuren des antiken Denkens deutlicher zu sehen als die des Neuen Testaments. Von den frühchristlichen Eiferern, die
mit ihrem gekreuzigten Gott die hellenistische Vernunftphilosophie bekämpften, ist die Lehre des Thomas von Aquin schon sehr
weit entfernt: Sein Bild des Christen ist auf den Umrissen des antiken Weisen gemalt, und sein Gott hat die kosmische Vernunft
der klassischen griechischen Philosophie angenommen.
Thomas verstarb am 7. März 1274 auf dem Weg zum Konzil nach Lyon. Schon knapp fünfzig Jahre später, 1323, sprach ihn der Papst heilig. Während viele
andere klassische Werke der Philosophie bei der kirchlichen Orthodoxie in Ungnade fielen und auf den Index der verbotenen
Bücher gesetzt wurden, nahm die
Summe der Theologie
den genau umgekehrten Weg. Im 16. Jahrhundert erhob man Thomasin den Rang eines Kirchenlehrers, und im Jahre 1879 erklärte Papst Leo XIII. den »Thomismus« zur »offiziellen Philosophie«
der katholischen Kirche.
Im Mittelalter markiert die
Summe der Theologie
den Höhepunkt der Scholastik. Sie lieferte das Weltbild für Dantes
Göttliche Komödie
und die Vorlage für die Erneuerung der Scholastik durch den Spanier Francesco Suarez im 16. Jahrhundert. Aber auch noch im 20. Jahrhundert haben »Neothomisten« wie Jacques Maritain oder Josef Pieper versucht, eine religiös inspirierte Philosophie im
Anschluss an Thomas zu entwickeln.
Endliches und Ewiges Sein
, das Hauptwerk der in Auschwitz ermordeten Philosophin Edith Stein, gehört zu den wichtigsten Ergebnissen dieser Bemühungen
in der Moderne.
Doch die
Summe der Theologie
ist keineswegs nur Zeugnis des immer wieder erneuerten Versuchs, religiösen Überzeugungen ein philosophisches Gesicht zu geben.
Sie gehört vielmehr zu den großen Werken, mit denen die Vernunft beginnt, sich religiöser Grundsätze zu bemächtigen, um sich
schließlich in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts von ihnen zu emanzipieren. Themen wie die Beweisbarkeit Gottes, die Unsterblichkeit der Seele und die Willensfreiheit
beschäftigten Denker wie Descartes, Spinoza, Leibniz oder Kant.
Die Kathedralen des Mittelalters genießen aufgrund ihrer technischen und ästhetischen Konstruktion auch die Wertschätzung
jener, für die der christliche Glaube, der sie inspiriert hat, seine verbindliche weltanschauliche Kraft verloren hat. Auch
das philosophische Gotteshaus des Thomas von Aquin, in dem die Vernunft so viele Spuren gelegt hat, ist ein Ort für philosophische
Schatzsucher geblieben.
Ausgabe:
Thomas von Aquino: Summe der Theologie, 3 Bde.
Zusammengefasst, eingeleitet und erläutert von Josef Bernhart. Stuttgart: Kröner 1985.
Blick über die Grenzen des Denkens
Nikolaus von Kues: Die belehrte Unwissenheit (1440)
Menschen, die an eine Erfahrungsgrenze geführt werden, tun sich oft schwer, mit den uns verständlichen Ausdrucksmitteln das
zu beschreiben, was sich hinter dieser Grenze auftut. Das, was sie uns zu sagen haben, nimmt häufig eine paradoxe oder geradezu
negative Form an. Der russische Maler Kasimir Malewitsch stieß auf der Suche nach der vollendeten Form auf die »Monochromie«,
auf die
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