Das neue Philosophenportal
Ehre gereicht hätte. In der Toskana
wurde Thomas von seinen Brüdern gekidnappt, aufs Pferd gesetzt und nach Hause verschleppt, wo die Familie ihn ein Jahr unter
Hausarrest hielt. Man ließ nichts unversucht, um ihn von dem Vorhaben abzubringen, ein Leben als Bettelmönch zu führen.
Doch es sollte sich zeigen, dass Thomas nicht gewillt war, sich den Interessen seiner Familie unterzuordnen. Er kehrte zu
seinen Ordensbrüdern zurück und ging wie geplant nach Paris. Im Konvent Saint Jacques, dem mitten in der Pariser Universität
gelegenen Studienhaus des Ordens, hatte er das Glück, einen der bedeutendsten philosophischen Lehrer seiner Zeit kennen zu
lernen: den Deutschen Albert von Lauingen. Der Mann, der als »Albertus Magnus«, also »Albert der Große«, in die Geschichte
der Philosophie eingehen sollte, war unter seinen Zeitgenossen als »Doctor universalis«, als Universalgelehrter, berühmt.
Als er im Jahr 1248 vom Orden beauftragt wurde, in Köln einen universitären Studienbetrieb aufzubauen, nahm er seinen Schüler
Thomas mit nach Deutschland.
Thomas wurde der Meisterschüler Alberts. Von seinen Kommilitonen erhielt der etwas untersetzt gebaute und zurückhaltende Student
aus Italien den Spitznamen der »stumme Ochse«. Es dauerte jedoch nicht lange, bis er in der gelehrten Welt unter einem anderen
Namen bekannt wurde: »Doctor angelicus« – der »engelsgleiche Doktor«. Seine Fähigkeit, die christliche Lehre mit philosophischen
Argumenten zu stützen, sollte legendär werden.
Diese philosophischen Argumente wurden vor allem aus der Philosophie des Aristoteles geschöpft, der bis ins 13. Jahrhundert in Westeuropa nur als Logiker bekannt war, nun aber mit seinen anderen Schriften in die Diskussionen eindrang.
Albertus Magnus und der Dominikanerorden spielten dabei eine entscheidende Rolle.
Im frühen Mittelalter herrschte eine neuplatonische Interpretation des Christentums vor, die durch das Werk des spätantiken
Philosophen Boethius, aber auch durch den vor Thomas einflussreichsten christlichen Philosophen, Aurelius Augustinus, vermittelt
worden war. Der in der Spätantike entstandene und von Plotin begründeteNeuplatonismus sah zwischen der wahren geistigen, nur durch die Vernunft erkennbaren Welt und der materiellen, sinnlich wahrnehmbaren
Welt eine tiefe Kluft. An der Spitze der Wirklichkeitspyramide stand »das Eine«, ein jenseitiger geistiger Gott, der nur durch
eine visionäre Schau erfassbar war. Um zum Einen zu gelangen, musste man die materielle Welt überwinden und hinter sich lassen.
Die neuplatonisch-augustinische Tradition der christlichen Philosophie wertete aber nicht nur die Sinnlichkeit gegenüber dem
Geist, sondern auch die Vernunft gegenüber dem Glauben ab. Der Graben zwischen der Welt der menschlichen Erkenntnis und der
Wirklichkeit Gottes war so groß, dass er von der menschlichen Vernunft nicht überwunden werden konnte.
Aristoteles dagegen hatte umgekehrt die Natur, die sinnlich erfahrbare Welt, zum Ausgangspunkt genommen, um von dort zu den
letzten Prinzipien der Wirklichkeit und schließlich zu Gott, dem »unbewegten Beweger«, zu gelangen. In der telelogischen (von
griech. telos = Ziel, Zweck) Weltsicht des Aristoteles waren alle Dinge Teil einer zweckgerichteten Ordnung, die auf Gott
als den letzten Zweck- und Zielpunkt zulief. Über die Erforschung der Natur konnte man also mit Mitteln der Vernunft zu Gott
gelangen. Gott war für Aristoteles das logische Resultat einer rationalen Weltbetrachtung.
Islamische und jüdische Philosophen ebneten den Weg für eine umfassende Aufnahme des Aristoteles im Westen. Im arabischen
Raum waren die vollständigen aristotelischen Schriften seit der Mitte des 10. Jahrhunderts bekannt. Einer der islamischen Aristoteles-Vermittler war im frühen 11. Jahrhundert der aus Buchara im heutigen Usbekistan stammende Ibn Sina, der im Westen »Avicenna« genannt wurde. Für ihn war,
wie für Aristoteles, Gott ein reines geistiges Sein, das keinen Veränderungen unterworfen ist. Im Gegensatz zur Lehre des
Koran vertrat er sogar die aristotelische Auffassung, dass die Welt keinen Anfang in der Zeit hat. Sehr einflussreich wurde
seine – nicht bei Aristoteles belegte – Auffassung, dass der Mensch keine individuelle Vernunft besitzt, sondern dass es eine
überpersönliche Vernunft gibt, an der jeder einzelne Mensch Anteil hat.
Genau dies vertrat auch etwa einhundert Jahre später der
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