Das neue Philosophenportal
begann und erst 1449 seinen Abschluss fand. Dort ging es auch um die Auseinandersetzung
zwischen konservativen Vertretern, die die Macht des Papstes stärken wollten, und Vertretern des reformatorischen Flügels,
den sogenannten »Konziliaristen«, die für eine Demokratisierung der Kirche eintraten. Hier gelang dem jungen deutschen Priester
der Durchbruch als Intellektueller. Im Dienste der Konziliaristen schrieb er 1433 seine erste größere Schrift über die Einheit
innerhalb der katholischen Kirche,
De concordantia catholica
.
Das Problem der »Einheit« rückte für Nikolaus zunehmend ins Zentrum seines Denkens. Es war ein kirchenpolitisches Problem,
das aber in einem philosophischen Problem wurzelte: Gab es eine Wahrheit, in der die Widersprüche, in die sich die Aussagen
über Gott und die Welt immer wieder verstrickten, aufgelöst werden konnten?
Während er in der Verfolgung dieser Frage sein Leben lang konsequent blieb, wechselte er schon 1437 kirchenpolitisch die Fronten.
Zusammen mit seinem Freund Guiliano Cesarini ging er auf die Seite des Papstes über, ein Wechsel, der seiner Karriere nützte,
seiner Glaubwürdigkeit unter den Konzilsteilnehmern aber erheblich schadete. Bis heute wird darüber spekuliert, ob päpstliches Geld dabei eine Rolle gespielt hat. Ein Ergebnis dieses Frontenwechsels
war jedenfalls, dass der Papst ihn zum Mitglied einer Delegation machte, die im Juli 1437 mit dem Schiff nach Konstantinopel
reiste, um den byzantinischen Kaiser samt Gefolge nach Italien zu bringen, mit dem Ziel, Ost- und Westkirche wieder miteinander
zu vereinigen.
Die Reise nach Konstantinopel ermöglichte Nikolaus eine mehrmonatige kreative Pause, in der – inspiriert von Gesprächen und
Diskussionen – die Grundidee für sein Hauptwerk
Die belehrte Unwissenheit
entstand. Im Zentrum stand wiederum das Thema der »Einheit«. Einheit als Überwindung der Vielheit war ein altes philosophisches
Thema, insbesondere in der Tradition der platonischen Philosophie, die im Neuplatonismus der Spätantike zu einer Form der
philosophischen Mystik weiterentwickelt wurde. Platons Welt der »Ideen« war eine Welt der unveränderlichen idealen Formen,
die als eine wahre Wirklichkeit der immer wechselnden, veränderlichen Welt der sinnlichen Wahrnehmung entgegenstand. Sie gipfelte
in der »Idee des Guten« als dem Inbegriff des Wahren, Guten und Schönen.
Der Begründer des Neuplatonismus, Plotin, entwickelte daraus sein oberstes Wirklichkeitsprinzip »des Einen« als unveränderlichen,
geistigen Ursprung und Ziel alles Wirklichen. Für Plotin war das Eine nicht mehr durch Sprache und Vernunft, sondern nur durch
eine mystische Vision erfassbar. Spätantike und frühmittelalterliche Anhänger des Neuplatonismus wie Boethius oder der bis
heute nicht identifizierte Mystiker, der sich Dionysios Areopagita nannte, identifizierten dieses Eine mit dem christlichen
Gott. Im Hochmittelalter dominierten zwar die Bemühungen, Glauben und Vernunft miteinander zu versöhnen, doch auch der mystische
Gott als Einheitsprinzip jenseits aller rationalen Erkenntnis lebte fort. Einflussreich für Nikolaus wurde vor allem der jüdische
Philosoph Moses Maimonides, der als »Rabbi Salomon« in seinen Schriften zitiert wird, und der von der Kirche verurteilte Dominikanermönch
Meister Eckart.
Diese Einflüsse eines mystischen Neuplatonismus wurden durch die Begegnung mit dem oströmischen Philosophen Plethon noch verstärkt.
Plethon befand sich im Gefolge des byzantinischen Kaisers, der sich, von der päpstlichen Delegation abgeholt, zwischen November 1437 und Februar 1438 auf die Reise von Konstantinopel
nach Italien gemacht hatte. Plethon betrachtete die verschiedenen christlichen Konfessionen als volkstümliche Varianten der
einen, unteilbaren Wahrheit, die Platon mit seiner höchsten Idee des Guten und Plotin mit seinem Begriff des Einen formuliert
hatte.
Konnte man diese Einheit für den menschlichen Geist fassbar machen, auch wenn Vernunft und Sprache hier an eine Grenze stießen?
In einem späteren Brief an Giuliano Cesarini berichtet Nikolaus, dass ihm die Idee der »belehrten Unwissenheit« auf der »Rückkehr
aus Griechenland auf dem Meerwege« gekommen sei, auf jener Reise, bei der er mit Plethon zusammentraf. Hier formierten sich
seine Grundgedanken, nämlich dass unsere rationale Erkenntnis sich in einem Netz sich ausschließender Gegensätze und logischer
Widersprüche
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