Das neue Philosophenportal
Ende der Zahlenskala festzumachen, stößt immer an Grenzen. Denn jede sogenannte
größte Zahl könnte, sofern sie quantifizierbar ist, immer noch übertroffen werden, indem man eine weitere endliche Zahl, also
z. B. eine Eins, hinzufügt. Die gleiche Rechnung kann man anstellen, wenn man das Maximum in der anderen Richtung sucht, also
die sogenannte kleinste Zahl. Auch sie kann, sobald sie als Zahl fassbar ist, durch Subtraktion immer noch kleiner gedacht
werden.
Symbol für Gott als Maximum ist eine Zahl, die in Wahrheit keine richtige Zahl ist, weil wir mit ihr nicht wie mit einer normalen
Zahl rechnen können: das Unendliche. So bleibt das Unendliche immer noch das Unendliche, auch wenn wir eine endliche Zahl
addieren. Es gibt kein Unendliches plus eins. Wie das Unendliche eine Größe ist, auf die die Zahlenreihe zuläuft, ohne sie
je zu erreichen, ist Gott das Maximum, auf das alles in der Welt zuläuft, ohne ihn zu erfassen. Gott ist das Maß aller Dinge,
das selbst nicht gemessen werden kann, da, so Nikolaus, »Maß und Gemessenes trotz aller Angleichung immer verschieden bleiben«.
Man kann lediglich symbolisch auf ihn hindeuten.
Geometrische Symbole für Gott sind auch Kugel und Kreis. Der Kreis steht in einem vergleichbaren Verhältnis zu den Vielecken
wie Gott zur erfassbaren Welt. Der Kreis ist die nie erreichte Verwirklichung des unendlichen Vielecks, wie viele Ecken wir
auch immeranfügen. Ebenso können wir unsere Erkenntnis der Welt unendlich erweitern, ohne je zur Erkenntnis Gottes zu gelangen. Der
Mensch bleibt, bildlich gesprochen, im Denken der Vielecke befangen. Er erfasst die Wahrheit immer nur als Annäherungswert.
Wir ergreifen Gott, so formuliert es Nikolaus, immer nur »in der Weise des Nichtergreifens«.
Auch wenn wir von Gott als »Einheit« sprechen, müssen wir unser normales Verständnis von »Einheit« vergessen. Kein einziges
konkretes Beispiel für Einheit kann das ausdrücken, was Gott wirklich ist. So sieht die menschliche Rationalität in Begriffen
wie »Einheit« und »Verschiedenheit« Gegensätze. Doch Gott gehört einem Bereich der Wirklichkeit an, in dem alle Unterschiede
und Gegensätze zusammenfallen und keine sprachlich fassbare Bedeutung mehr haben. Er ist immer jenseits dessen, was unser
Verstand begreifen kann, er ist eine nicht begreifbare Einheit aus Einheit und Verschiedenheit, aus Sein und Nicht-Sein. »Wenn
es auch den Anschein hat«, so Nikolaus, »als ob ›Einheit‹ dem Namen des Größten ziemlich nahe käme, so bleibt er doch vom
wahren Namen des Größten, der das Größte selbst ist, unendlich weit entfernt.«
Gott ist »alles, was sein kann«, eine Formulierung, mit der Nikolaus auch immer wieder in die Nähe des Pantheismus gerückt
wird, eine philosophische Anschauung, in der Gott und Welt miteinander identifiziert werden. Der cusanische Gott jedoch ist
in dem Sinne umfassend, dass er auch das in einer Einheit umschließt, was unserer Rationalität als paradox und unvereinbar
erscheint. Alle Prädikate, die wir vergeben können, treffen gleichzeitig auf ihn zu und auch nicht zu. Sprache und Logik laufen
leer, wenn sie Gott qualifizieren wollen. Eine Theologie, die dies nicht berücksichtigt und beansprucht, Gott erklären und
seine Eigenschaften benennen zu können, lehnt Nikolaus ab. Eine solche »affirmative« Theologie kann lediglich ein vorläufiges
Hilfsmittel sein, um zu der wahren, nämlich »negativen« Theologie zu gelangen, die die »heilige Unwissenheit« und die »Unaussprechlichkeit«
Gottes lehrt.
Die negative Theologie ist eine Theologie der Verneinungen. Sie stellt alles, was wir über Gott aussagen, in Frage. Wenn wir
wirklichetwas von Gott erkennen wollen, müssen wir über den Bereich rationaler Erkenntnis hinausgehen. Eine Möglichkeit sieht Nikolaus
in einer intuitiven, mystischen Erkenntnis, welche er mithilfe der Bildlichkeit von Dunkelheit und Licht beschreibt, die in
der Geschichte der philosophischen Mystik eine lange Tradition hat und sich bereits bei Platon findet. Es ist eine Erkenntnis,
so Nikolaus, »bei der die genaue Wahrheit im Dunkel unserer Unwissenheit in der Weise des Nichterfassens aufleuchtet«. Rationales
Nichtwissen wird also in einer nicht-rationalen »Erleuchtung« überwunden.
Nikolaus’ Kosmologie, d. h. seine Theorie des Universums, war für die zeitgenössische Theologie ebenso provozierend wie seine Lehre vom rational
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