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unerkennbaren
Gott. Die Welt als ein Abbild Gottes verlor ihre Begrenztheit und wurde nun ebenfalls unendlich. In unserem Versuch, die Welt
»messbar« zu erfassen, können wir nie an ein Ende gelangen. Es gibt keine »abschließende« Erkenntnis der Welt, sondern immer
nur Annäherungen. Allerdings unterscheidet Nikolaus die Unendlichkeit der Welt von der Unendlichkeit Gottes: Es ist eine relative
oder eingeschränkte Unendlichkeit. Während Gott jenseits jeder Mess- und Zählbarkeit steht und damit absolut unendlich ist,
ist die Welt dadurch eingeschränkt unendlich, dass wir die Menge der Dinge nie überschauen können. Die absolute Unendlichkeit
Gottes spiegelt sich in einer sinnbildlichen Form in der relativen Unendlichkeit der Welt.
Auch das Universum ist eine Art Maximum, aber ein Maximum, das durch die Vielheit, die vielen einzelnen Dinge, die die Welt
ausmachen, begrenzt ist. Es gibt kein Universum als Einheit unabhängig von den vielen Dingen. Auch die Gattungen und Arten,
mit denen wir die Welt der Dinge einteilen, schaffen keine Einheit unter den Dingen. Jedes einzelne Ding ist ein Individuum,
jedes Pferd ist anders als jedes andere Pferd. Die im Mittelalter heftig geführte Diskussion, ob das Allgemeine oder das Einzelne
Vorrang in unserer Sicht der Wirklichkeit haben soll, wird bei Nikolaus zugunsten des Einzelnen entschieden. Er öffnet damit
den Blick für die Vielfalt der Welt und unterstreicht die Bedeutung der Beobachtung und empirischen Forschung. Den Weg dieser
Erforschung hat Gott selbst geebnet:»Gott«, so Nikolaus, »hat bei der Erschaffung der Welt sich der Arithmetik, der Geometrie, der Musik und der Astronomie bedient,
Künste, die auch wir anwenden, wenn wir nach proportionalen Verhältnissen der Dinge, der Elemente und der Bewegungen forschen.«
Mit anderen Worten: Gott hat dem Menschen Mathematik, Musik und Astronomie an die Hand gegeben, damit er den göttlichen Bauplan
des Universums nachvollziehen kann.
Allein aus einer philosophischen Argumentation heraus kam Nikolaus zu Schlüssen, die Erkenntnisse der späteren Naturwissenschaften
vorwegnehmen: Das Universum hat für ihn keinen geographischen Mittelpunkt mehr. Sein wahrer Mittelpunkt ist der überall präsente
Gott. Es gibt auch keine Peripherie der Welt mehr. Die Erde ist ein in Bewegung befindlicher Planet irgendwo im All. Sie verliert
dadurch aber nicht ihre göttliche Prägung und ihren Adel, denn »ihre Gestalt ist edel und kugelförmig«, womit sie an die göttliche
Vollkommenheit erinnert. Allerdings ist die Erde nicht vollkommen kugelförmig, ebenso wie ihre Bewegung nicht vollkommen kreisförmig
ist. Es ist ein Universum, das überall an Gott erinnert und gleichzeitig unbegrenzte Möglichkeiten in sich birgt. So hält
Nikolaus auch die Existenz von Bewohnern anderer Planeten und anderer Regionen des Universums für möglich.
Bei allen revolutionären philosophischen Überlegungen, die Nikolaus über Gott und das Universum anstellt, darf man nicht vergessen,
dass er ein Theologe war, der fest auf dem Boden der Glaubenslehre der Kirche stand. Wenn er im dritten Band der
Belehrten Unwissenheit
Überlegungen über die Rolle von Jesus Christus im Verhältnis zwischen Gott und Mensch anstellt, so hat dies vor allem theologische
Gründe: Es musste die These untermauert werden, dass Jesus als Gottes Sohn zugleich Gott und Mensch ist.
In der Sprache der
Belehrten Unwissenheit
hieß das: Jesus Christus musste zugleich ein absolutes Maximum und ein eingeschränktes Maximum sein. Dass dies eine sehr schwierige
Denkfigur ist, war Nikolaus wohl bewusst. Wenn wir uns, so seine Argumentation, ein Maximum innerhalb einer bestimmten Gattung,
also z. B. der Gattung der Pferde, vorstellen, so müsste dieses Pferd alle Eigenschaftender Gattung in Vollkommenheit besitzen. Es wäre damit weiterhin Teil der Welt, also eine eingeschränkte Größe, hätte aber
auch etwas von der absoluten Einheit, die nur in Gott ist. Stellen wir uns nun ein Ding in der Welt vor, das das Maximum aller
möglichen Dinge ist, das also alle Eigenschaften aller Dinge in Vollkommenheit umfasst. Dies könnte, so Nikolaus, nur ein
Exemplar der vollkommensten Gattung sein, also ein Mensch. Denn der Mensch ist so etwas wie ein Mikrokosmos der Welt, er umfasst
sowohl Materie als auch Geist, Sinnlichkeit und Vernunft. Dieser vollkommene Mensch, der das Maß aller Dinge für den Menschen
ist, wäre in seiner
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