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Übergriffen,
aber auch die materielle Grundversorgung der Bevölkerung. Bei Hobbes sind also bereits erste Merkmale eines Sozialstaats erkennbar:
Der Souverän übernimmt auch Verantwortung für die Armen.
Das bahnbrechend Neue an der Konstruktion des Gesellschaftsvertrags ist sofort sichtbar: Es gibt keine naturgegebenen Standesunterschiede
zwischen den Menschen und auch keine Herrschaft »von Gottes Gnaden« mehr. Das Gemeinwesen erwächst vielmehr aus dem Willen
von freien und gleichen Bürgern. Damit war der Theorie der Volkssouveränität, wie sie in der Aufklärung entwickelt wurde,
ein großes Tor geöffnet.
Anders als die späteren Aufklärer beharrt Hobbes jedoch auf der Machtfülle des Souveräns. Der Souverän ist der Dreh- und Angelpunkt
der politischen Philosophie des
Leviathan
. Mit der in ihm konzentrierten Macht zur Durchsetzung des Rechts erlangen die Naturgesetze erst ihre Geltung. Recht, Macht
und Staat: Sie alle treten erst mit dem Souverän ins Leben und sind mit ihm identisch. Im Souverän vereinigt sich für Hobbes
der gemeinsame Wille der Vertragsschließenden. Als die »in einer Person vereinigte Menge« verkörpert er das Gemeinwesen. »Das
ist«, so Hobbes, »die Entstehung jenes großen
Leviathan
oder besser ... jenes
sterblichen Gottes
, dem wir unter dem
unsterblichen Gott
unseren Frieden und unsere Sicherheit verdanken.«
Das berühmte, in vielen Ausgaben des
Leviathan
abgebildete und von dem Kupferstecher Wenceslaus Holler gestaltete Titelbild hat der Hobbes’schen Vorstellung vom Souverän
Gestalt verliehen. Im Mittelpunkt steht eine bekrönte Person, die selbst wiederum aus Menschen zusammengesetzt ist. Der Souverän
ist die Überperson, die zur Einheit gebrachte Ansammlung von Einzelmenschen. Als »sterblicher Gott« ist er mit unbeschränkter
Herrschaftsgewalt ausgestattet. So trägt er sowohl die Insignien der weltlichen als auch die der geistlichen Macht: zu seiner
Rechten ein Schwert und zu seinerLinken den bischöflichen Krummstab. Für die Kirche als Institution bedeutet dies Unterordnung unter die Herrschaft des Staates.
Die Hobbes’sche Theorie vom Souverän, der durch einen Gesellschaftsvertrag installiert wird, hat eine demokratische und eine
totalitäre Seite. Während die Art der Staatsbegründung durch einen Vertrag von Freien und Gleichen das Modell für die Verfassungsgebung
eines Rechtsstaats abgibt, trägt die von der Figur des Souveräns beherrschte Staatskonstruktion Züge absoluter und totalitärer
Herrschaft. Die Macht des Souveräns bei Hobbes ist unbegrenzt und wird auch durch keine Institutionen kontrolliert. Eine Gewaltenteilung
zwischen Herrscher, Parlament und Rechtsprechung wie später bei Locke und Montesquieu gibt es nicht. Der Souverän ist Herr
über Krieg und Frieden, Leben und Tod. Es gibt keine Möglichkeit, ihn abzusetzen. Allerdings endet die Gehorsamspflicht der
Untertanen dann, wenn der Souverän seine Schutzverpflichtung gegenüber den Bürgern nicht mehr erfüllen kann.
Wenn Hobbes den Souverän auch bildlich als eine »Person« bezeichnet, so ist damit die Frage, welche konkrete Gestalt er als
Verkörperung des Gemeinwesens annimmt, noch nicht beantwortet. Hobbes diskutiert neben der monarchischen Einpersonenherrschaft
auch die Möglichkeit, dass eine »Versammlung« diese Funktion übernimmt, entweder als Versammlung aller Bürger oder eines Teils
von Bürgern. Seine Vorliebe gilt aber dem Modell der absoluten Monarchie. Er begründet dies damit, dass nur in dieser sich
private und öffentliche Interessen vollständig decken.
Der Souverän ist als »sterblicher Gott« Stellvertreter und Handlanger des unsterblichen Gottes. Doch dieser unsterbliche Gott
ist in Hobbes’ politischem Universum merkwürdig abwesend. Erst nachträglich hat Hobbes der Ableitung der politischen Herrschaft
»aus der Natur« eine theologische Rechtfertigung beigefügt. Nicht nur die Zeitgenossen argwöhnten, dass Hobbes’ rationaler
Umgang mit religiösen Fragen wenig Raum für die Wahrheit einer Offenbarungsreligion lässt. Für ihn hatten logische Schlussfolgerungen
allemal Vorrang vor obskuren Autoritäten. »Denn wer mit Worten«, so schreibt er im 46. Kapitel, »die er versteht, richtig folgert, kann nie zu einemIrrtum gelangen.« Entsprechend bezeichnete er dasjenige als »Scheinphilosophie«, »was irgendjemand durch übernatürliche Offenbarung
weiß, weil es nicht durch Schlussfolgerung
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