Das neue Philosophenportal
Verbindungen zu den »Regenten«, den Vertretern der liberalen Oberschicht, die in heftige politische Auseinandersetzungen
mit den Anhängern des Hauses Oranien verwickelt waren. Als politisch Liberaler und religiöser Freigeist war er sein Leben
lang Verdächtigungen und Verfolgungen ausgesetzt. So entschied er sich für eine unauffällige und zurückgezogene Existenz,
ohne ein Amt in einer Kirche, einer Universität oder der Politik zu bekleiden. Für sein Siegel wählte er nicht zufällig den
Wahlspruch »Caute!« (Sei vorsichtig!).
Seine Amsterdamer Freunde aus dem Umkreis der Kollegianten halfen ihm, sich außerhalb der jüdischen Gemeinde einzurichten.
Doch die wichtigste Rolle für die weitere philosophische Entwicklung des jungen Spinoza spielte der Ex-Jesuit Franciscus van
den Enden, ein schillernder und vielseitig gebildeter Intellektueller, der sich von der Kirche gelöst und sich zum Atheisten
und Materialisten gewandelt hatte.
Er betrieb in Amsterdam eine Lateinschule und nahm Spinoza bei sich auf. In van den Endens aufgeklärter Denkerwerkstatt verkehrten
viele begabte junge Leute. Hier lernte Spinoza die antike Naturphilosophie kennen, so den Atomismus des Vorsokratikers Demokrit
und die im 16. Jahrhundert weit verbreiteten Schriften der Stoiker, die glaubten, dass der Kosmos von einer einheitlichen Weltvernunft beherrscht
werde. Aber auch mit den Schriften des italienischen Renaissancephilosophen Giordano Bruno, für den das Universum unendlich
war und den man wegen seiner Äußerungen auf dem Scheiterhaufen verbrannt hatte, wurde er vertraut.
Noch wichtiger aber wurde die Bekanntschaft mit dem Werk des französischen Philosophen René Descartes, des Begründers des
neuzeitlichen Rationalismus. Cartesius, wie er in Fachkreisen auch genannt wurde, hatte über zwanzig Jahre lang, von 1628
bis 1649, in den Niederlanden gelebt. Seine Schriften waren dort gut bekannt und wurden ab 1656 ins Niederländische übersetzt.
Descartes war ebenfalls ein Anhänger Galileis gewesen, hatte selbst naturwissenschaftliche Studien betrieben und die Mathematik,
insbesondere die Geometrie, zum Vorbild für die Philosophie erklärt. Er war davon überzeugt, dass der Ratio, der Vernunft,
die Struktur der Wirklichkeit durch intuitive Gewissheit und logische Schlussfolgerungen zugänglich ist. Aus der Gewissheit
des eigenen Denkens (»Cogito ergo sum« – »Ich denke, also bin ich«) erschloss er Schritt für Schritt ein System von Vernunftwahrheiten,
in dem auch Gott als Garant wahrer Erkenntnis seinen Platz hatte.
Descartes schied die Welt in zwei voneinander streng getrennte Substanzen: die »res extensa«, die durch Ausdehnung charakterisierte
Materie, und die »res cogitans«, den Geist, der als »denkende Sache« den Gesetzen der Materie nicht unterworfen war. Aus der
Existenz des Geistes begründete Descartes auch die Willensfreiheit des Menschen, die Möglichkeit also, mit eigenen Handlungen
frei in die Kette von Ursache und Wirkung einzugreifen. Eine Verbindung zwischen Materie und Geist war für Descartes einzig
vermittels der menschlichen Seele gegeben, deren Sitz er in der Zirbeldrüse des Gehirns vermutete.
Nach dem großen Bann von 1656 markierte das Jahr 1660 einen weiteren wichtigen Einschnitt in Spinozas Leben. Auf Betreiben
der Amsterdamer Rabbiner musste er Amsterdam verlassen. Damit endete auch seine Lehrzeit bei van den Enden. Er siedelte zunächst
nach Rijnsburg, nahe der Universitätsstadt Leiden, um. Drei Jahre später zog er nach Voorburg vor den Toren Den Haags und
schließlich, 1669, nach Den Haag selbst, wo er bis zu seinem Tod wohnte. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich mit dem
Schleifen optischer Linsen, ein Handwerk, zu dem ihn Descartes’ wissenschaftliche Untersuchungen über Optik angeregt hatten.
In der Auseinandersetzung mit Descartes entwickelte Spinoza nun seine eigene Form des Rationalismus. Erste Ansätze dazu finden
sich in der Schrift, die Spinoza als einzige unter seinem eigenen Namen zu Lebzeiten veröffentlichte
, Descartes’ Prinzipien der Philosophie, auf geometrische Weise begründet
, von 1663. Spinoza kommentiert und erläutert darin die 1644 erschienenen
Prinzipien der Philosophie
, lässt aber auch immer wieder eigene Gedanken einfließen.
Spinoza übernahm von Descartes den Denkansatz und rekonstruiert dessen Philosophie nach einer Methode, die er selbst in seinen
Schriften anwenden sollte. Wie
Weitere Kostenlose Bücher