Das neue Philosophenportal
keine moderne Demokratie im westlichen Sinn an,
und er hatte auch noch nicht denselben Begriff von Grundrechten und Grundfreiheiten, wie wir ihn heute haben. So wollte er
noch für jeden sozialen Stand eigene Gerichte einrichten. Besonders der Adel, der für Montesquieu »mittlere Stand«, sollte
gegenüber dem König in seiner Stellung gestärkt werden. Doch auch die Machtbefugnisse des Monarchen gegenüber dem Parlament
blieben noch erheblich. So hatte der König ein Vetorecht gegenüber den Beschlüssen des Parlaments, und dieses wiederum konnte
sich ohne Zustimmung des Königs nicht selbst einberufen.
Montesquieu wurde vor allem durch den Weg, den er beschritten hatte, und die Begründung, die er dafür gab, für die politische
Philosophie wegweisend: Es gibt keine Patentlösung für eine ideale politische Verfassung, weil die jeweiligen Traditionen
zu unterschiedlich sind. Die politische Vernunft hat viele Gesichter. Es hilft auch nicht das Vertrauen in das Gute im Menschen
oder in einen guten Herrscher. Der von Leidenschaften beherrschte Mensch muss nach Montesquieu von Gesetzen gezähmt werden,
von Gesetzen allerdings, die seine Eigenart respektieren und seine Freiheit gewährleisten. Bürgerfreiheit ist dabei eine Folge
der Machtbalance zwischen Gruppen und Institutionen. Der Bürger ist dort am freiesten, wo sich die Institutionen gegenseitig
in Schach halten, dort, wo alle gesellschaftlichen Gruppen an der Macht beteiligt sind, aber sich mit fest vereinbarten Einschränkungen
arrangiert haben.
Vom Geist der Gesetze
zeichnet eine Karte, die viele Grenzen enthält, aber auch zahllose Orte, an denen sich das politische Denkenvor Montesquieu nie aufgehalten hatte. Montesquieus Hauptwerk ist ein Plädoyer gegen politische Willkür und für die Herrschaft
des Gesetzes. Dieses Gesetz ist sowohl universal, weil es die Umrisse des Rechtsstaats skizziert und die Grundrechte aller
Menschen berücksichtigt. Es lässt aber auch Raum für die Ausgestaltung des Rechtsstaats unter den jeweils besonderen Verhältnissen,
in denen Menschen leben. Das Gesetz ist, so schreibt Montesquieu, »die menschliche Vernunft, sofern sie alle Völker der Erde
beherrscht; und die Staats- und Zivilgesetze jedes Volkes sollen nur die einzelnen Anwendungsfälle dieser menschlichen Vernunft
sein«.
Wie viele andere zeitgenössische Werke der Philosophie erschien auch
Vom Geist der Gesetze
anonym im Ausland, um die Bestimmungen der französischen Zensur zu umgehen. Nachdem die ersten Exemplare im Oktober 1748 die
Druckpressen des Buchhändlers Barrillot in Genf verlassen hatten, konnte man sie ab dem 11. November auch schon in Paris kaufen. Mit »stillschweigender Genehmigung« der Behörden wurde im Frühjahr 1749 sogar eine Pariser
Ausgabe möglich. »Ich habe zwanzig Jahre hintereinander an diesem Werk gearbeitet«, so schrieb Montesquieu, »und ich weiß
noch nicht, ob ich beherzt oder vermessen war, ob die Größe des Themas mich erdrückt oder seine Erhabenheit mich unterstützt
hat.«
Die Geistesgeschichte hat diese Frage eindeutig positiv beantwortet.
Vom Geist der Gesetze
wurde zu einem Bestseller in der politischen Philosophie. Bereits 1750, zwei Jahre nach seinem Erscheinen, hatte es 22 Auflagen erlebt und seinem Autor europäischen Ruhm beschert. Als eines der material- und ideenreichsten Bücher der politischen
Philosophie wurde es auch eines der einflussreichsten.
So atmet die 1776 verabschiedete Verfassung der jungen Vereinigten Staaten von Amerika ganz den Geist Montesquieus. Auch die
Protagonisten der Französischen Revolution beriefen sich neben Voltaire und Rousseau vor allem auf Montesquieu als einen der
großen Kritiker des Absolutismus. Ironischerweise tat dies auch einer der größten Gegner der Französischen Revolution, der
Brite Edmund Burke, der von Montesquieu die These übernahm, dass gewachsenepolitische Institutionen ein wichtiges Bindeglied zwischen dem Staat und seinen Bürgern darstellen. Die Rolle sich gegenseitig
kontrollierender und die Macht des Staates begrenzender Institutionen für die Freiheit des Bürgers steht auch im Mittelpunkt
des politischen Denkens von Alexis de Tocqueville, einem der Begründer des modernen Liberalismus.
In der Romantik wurde Montesquieus »esprit général« von Herder als »Volksgeist« wieder aufgenommen. Als »Geist« bzw. als »objektiver
Geist«, in dem die sozialen Beziehungssysteme von Recht, Moral
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