Das neue Philosophenportal
Kommilitonen den wenig schmeichelhaften Spitznamen »der Alte«, weil er eine etwas altkluge Behäbigkeit an den Tag
legte. Außerdem kannte man ihn als regelmäßigen Kneipengänger, dessen Wein- und Tabakkonsum immer wieder die Universitätsautoritäten
auf den Plan rief.
Und doch war es die Studienzeit im Tübinger Stift, in der das Fundament seines philosophischen Denkens gelegt wurde. Im Tübinger
Stift ließen die protestantischen Württemberger Herzöge ihren Pfarrernachwuchsausbilden, und auch Hegel schrieb sich hier zum Wintersemester 1788 / 89, versehen mit einem herzoglichen Stipendium, im Fach Theologie ein. Theologische Denkmuster prägten ihn von Beginn an:
Die christliche Überzeugung, dass eine allumfassende, absolute Wahrheit, nämlich Gott, sich in der Welt den Menschen offenbart,
floss als ein Grundgedanke in seine Philosophie ein.
Doch bereits der junge Hegel lehnte es ab, die theologischen Dogmen wörtlich zu nehmen, und bevorzugte, unter dem Einfluss
der Aufklärung und der politischen Ereignisse der Zeit, eine rationale Deutung, die Gott mit der Vernunft identifizierte.
Während im Nachbarland Frankreich das politische Erdbeben der Französischen Revolution tobte, las der Student Hegel die Schriften
der französischen Aufklärer und teilte deren Kritik an den vernunftwidrigen politischen Verhältnissen seiner Zeit. Als im
Frühjahr 1791 junge Anhänger der Französischen Revolution in Tübingen einen »Freiheitsbaum« errichteten, war auch Hegel dabei.
Noch der alte Hegel trank an jedem 14. Juli ein Glas Wein zum Gedenken an die Erstürmung der Bastille.
Hegels philosophische Überzeugungen bildeten sich in engem Austausch mit einem Freundeskreis von »Stiftlern«, den man als
Denkerwerkstatt junger Genies bezeichnen könnte. Hierzu gehörten der mit Hegel gleichaltrige Friedrich Hölderlin und der fünf
Jahre jüngere Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. Aus den Diskussionen dieser drei entwickelte sich die neue Philosophie des
Deutschen Idealismus, die den Versuch unternahm, theologische Konzepte mit Hilfe des in der Aufklärung aufgewerteten Begriffs
der Vernunft neu zu deuten. Die Vernunft als Wesen der Welt trat an die Stelle des christlichen Gottes. In der Tradition des
neuzeitlichen Rationalismus glaubten die jungen Idealisten, dass diese Vernunft dem Denken des Menschen zugänglich sei. Die
Vernunft löste Gott und das Denken löste den Glauben ab.
Ein wichtiger Ausgangspunkt dieser Philosophie war der Rationalismus Baruch de Spinozas, in dessen Mittelpunkt eine allumfassende
göttliche Weltvernunft steht. In seiner
Ethik
(1677) vertritt Spinoza einen Pantheismus: Gott und Welt sind eins – eine einzige, ewige und unveränderliche Substanz. Sie offenbart sich in der Form mathematisch-naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten:
Alles Geschehen folgt nach Spinoza dem Gesetz von Ursache und Wirkung.
1781 war jedoch Immanuel Kants
Kritik der reinen Vernunft
erschienen, ein Buch, das den traditionellen Rationalismus in Frage stellte und behauptete, dass die Naturgesetze nicht auf
die Welt an sich, sondern lediglich auf eine von unserem eigenen Erkenntnisvermögen abhängige »Erscheinungswelt« anwendbar
seien. Kant zog zwischen der gesicherten Erfahrungserkenntnis des menschlichen Verstandes und den ungesicherten Spekulationen
einer »reinen« Vernunft eine rote Linie, die er nicht überschreiten wollte. Die Vernunft, so Kant, verwickelt sich immer wieder
in unlösbare Widersprüche. Gesicherte Aussagen über das Wesen der Welt oder über Gott lässt sie nicht zu.
Hegel, Hölderlin und Schelling erkannten Kants rote Linie nicht mehr an und glaubten wie Spinoza an die Fähigkeit der Vernunft,
das Wesen der Welt, die Welt »an sich« zu erkennen. Die von Kant so geschätzten Naturwissenschaften betrachteten sie nicht
mehr als die wahren Wissenschaften. Wissenschaft hatte vielmehr ihren Ort in der Philosophie selbst, in dem Bemühen der Vernunft,
die Wirklichkeit auf den Begriff zu bringen. Für Hegel wurden Philosophie und Wissenschaft Synonyme.
Diese Auffassung von Philosophie steht auch schon hinter Johann Gottlieb Fichtes 1794 erschienener
Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre
. Fichte zog aus Kants These, dass das, was wir Wirklichkeit nennen, von unseren subjektiven Erkenntnisvoraussetzungen abhängig
ist, eine radikale Konsequenz: Für ihn ist die Wirklichkeit nichts anderes als die schöpferische Tat des »Ich«,
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