Das neue Philosophenportal
der Mensch nicht mehr als seine eigenen Kinder erkennt. Das »unwahre, d. i. theologische
Wesen der Religion«, d. h. die Widersprüche der traditionellen Religionsauffassung, sind Gegenstand des zweiten Teils. Es ist der erste Teil des Buches,
der den Kern der Feuerbach’schen Religionsphilosophie enthält.
Feuerbach beginnt sein Werk mit grundsätzlichen Aussagen über den Menschen. Der Mensch hat für ihn ein völlig anderes Verhältnis
zu der ihn umgebenden Welt als andere Wesen. Er hat ein Bewusstsein davon, dass er Teil einer Gattung ist, dass er also mit
anderen das Menschsein teilt. Er ist sich als »Mensch« bewusst, als Wesen, das durch Vernunft, Wille und Herz gekennzeichnet
ist.
Mit seinem Bewusstsein kann sich der Mensch die Welt aneignen. In diesem Vorgang der Aneignung sind Mensch und Gegenstand,
Subjekt und Objekt, eng miteinander verklammert. In der Art, wie der Mensch sich Gegenstände bewusst macht, steckt immer schon
ein ganzes Stück von ihm selbst. Wenn wir etwas mit der Vernunft erfassen, so erfassen wir damit auch immer die eigene Vernunft,
die sich zum Objekt der Betrachtung gemacht hat. Auch der gefühlte Gegenstand ist im Grunde nichts anderes als das vergegenständlichte
Gefühl. Für Feuerbach ist jede Form des menschlichen Weltbezugs eine Art Projektion, eine Veräußerlichung des Menschen. »Was
für eines Gegenstandes wir uns daher auch nur immer bewusstwerden«, sagt Feuerbach, »wir werden stets zugleich unseres eigenen Wesens uns bewusst.«
Doch die grundlegende, elementare Aneignung der Welt erfolgt nicht über das begriffliche Denken, sondern über die sinnliche
Erfahrung. Im
Wesen des Christentums
ist Feuerbach bei einer materialistischen Auffassung der Wirklichkeit angelangt. Unsere Welt ist eine sinnliche Welt, und
Sinnlichkeit ist für Feuerbach die entscheidende Brücke des Menschen zur Welt. Auch religiöser Inhalte werden wir uns nach
Feuerbach nicht durch das begriffliche Denken, sondern durch das Gefühl bewusst. Das Gefühl ist das entscheidende »Organ der
Religion«.
Die Religion ist für Feuerbach ein besonders charakteristischer Bereich, in dem sich das »Selbstbewusstsein« des Menschen
zeigt. Sie ist sogar, wie er sagt, dessen »erste«, aber auch »indirekte« Form. Die erste, weil sich der Mensch mithilfe der
Religion – noch vor der Philosophie – über sein Wesen als »Mensch« im Sinne einer Gattung klar zu werden versucht. Indirekt
deswegen, weil der Mensch mit der Religion einen Umweg beschreitet: Ohne sich dessen bewusst zu sein, biegt er auf dem Weg
zu seinem Selbstverständnis in eine andere Richtung ab: in Richtung eines jenseitigen Gottes. Dieser Umweg markiert die Selbstentzweiung,
die Entfremdung des Menschen von sich selbst.
Von diesem Umweg wieder auf den direkten Weg zu führen: Darin sieht Feuerbach seine Aufgabe als Aufklärer. Er will zeigen,
dass in der Religion in Wahrheit immer vom Menschen die Rede ist: Die Eigenschaften, die wir Gott zusprechen, sind in Wahrheit
ideale Eigenschaften der menschlichen Gattung. Überall, wo »Gott« draufsteht, ist eigentlich »Mensch« drin. Die Religion ist,
so Feuerbachs These, »die mit dem Wesen des Menschen identische Anschauung vom Wesen der Welt und des Menschen«.
Dies gilt auch für sehr abstrakte Gottesvorstellungen, die scheinbar von jedem Anthropomorphismus frei sind. Feuerbach denkt
hier an den rationalen »Gott der Philosophen«, wie er auch in der christlichen Theologie anzutreffen ist: Gott als ewiges,
absolutes Wesen, als reine Intelligenz und Prinzip der Wirklichkeit. Aristoteles,Spinoza und Hegel, der ihn »absolute Vernunft« nannte, haben diesem philosophischen Gott gehuldigt.
Doch auch hier sind nach Feuerbach menschliche Projektionen im Spiel. Denn dieser metaphysische Gott ist nichts anderes als
der reine, vom Menschen abgetrennte Verstand, die reine Intelligenz, die der Mensch sich als eigenständiges Objekt gegenüberstellt.
Der Mensch befriedigt hier seinen Wunsch nach reiner, perfekter Verkörperung der Wirklichkeitserkenntnis. Im metaphysischen
Gott nimmt das Bewusstsein von der Unendlichkeit der menschlichen Gattung Gestalt an.
Nicht nur der Verstand, auch Wille und Gefühl sind für Feuerbach »göttliche Eigenschaften« des Menschen, die der Mensch aber
fälschlicherweise als Eigenschaften eines Gottes begreift. Der mit dem Menschen gefühlsmäßig verbundene Gott kommt vor allem
dort ins Spiel, wo es um
Weitere Kostenlose Bücher