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Moral und Mitmenschlichkeit geht. Gott als moralisch vollkommenes Wesen ist zunächst nichts anderes
als das personifizierte moralische Gesetz. Viel näher an den Menschen heran rückt er noch dadurch, dass er der Gott der Liebe
ist und der Gott der Inkarnation, der »Fleisch« geworden ist und für die Menschen gelitten hat. Dadurch wird Gott vollends
vermenschlicht, er wird eine Persönlichkeit, ein »Herzenswesen«, mit dem sich der Mensch versöhnen kann. Gott verkörpert hier
das, was dem Menschen das Höchste und Liebste ist: die Fähigkeit zur tiefen Empfindung, die sich in Leiden ausdrücken kann,
vor allem aber die Liebe als das Band, das die Gattung zusammenhält. Dieser Gott als Herzenswesen will uns vor allem eins
sagen: Empfindung und Liebe sind etwas Göttliches.
Der menschliche Charakter der Religion kommt nach Feuerbach besonders in der Art der Kommunikation zum Ausdruck, die der Mensch
mit Gott pflegt. Im Gebet spricht der Mensch Gott mit »du« an und behandelt ihn wie ein menschliches Gegenüber, ein Gegenüber
allerdings, von dem er sich abhängig fühlt und das er höherstellt als sich selbst. Aber auch dieses Gegenüber, das wir anbeten,
ist, so Feuerbach, nichts anderes als unser eigenes Herz als Instanz der Liebe. Im Gebet wird die für den religiösen Menschen
charakteristischeSelbstteilung deutlich: Wo er scheinbar mit einem Gegenüber kommuniziert, spricht er in Wahrheit mit sich selbst.
Der christliche Gott, so Feuerbach, ist immer ein Gott der Vollkommenheiten, in denen sich nie erreichte, aber gewünschte
menschliche
Vollkommenheiten widerspiegeln. Aber warum projiziert der Mensch diese Vollkommenheiten auf einen Gott? Die Antwort gibt uns
Feuerbach in dem Satz: »Nur der arme Mensch hat einen reichen Gott.«
Der Mensch hat Verstand, Wille und Herz, aber der einzelne Mensch ist in der Verwirklichung dieser Eigenschaften beschränkt.
Die Religion entsteht aus dem Konflikt, in den der Mensch in seinem diesseitigen Leben mit sich selbst gerät. Er wünscht sich
reine Erkenntnis, ein moralisches Leben und die Verwirklichung einer dem Mitmenschen zugewandten Liebe. Doch die Wirklichkeit
konfrontiert ihn immer wieder mit seinen Schwächen, Irrtümern, unlauteren Motiven und Verfehlungen. Das, was sein soll, ist
nicht. Um diesen Konflikt zu lösen, schafft sich der Mensch in der Religion eine von allen Beschränkungen befreite Wirklichkeit
im Jenseits. »Das Jenseits«, so Feuerbach, »ist das im Bilde angeschaute, von aller groben Materie gereinigte – verschönerte
Diesseits.« Die Trennung zwischen Diesseits und Jenseits drückt aus, dass sich der Mensch als ein zerrissenes Wesen versteht.
Weil der Mensch unvollkommen ist, schafft er sich den vollkommenen Gott als Wunschbild seiner selbst.
Die Jenseitsreligion ist deshalb für Feuerbach nicht nur einfach eine Illusion, sie ist eine ganz und gar
menschliche
Illusion, in der sich vieles, was am Menschen wertvoll und wichtig ist, ausdrückt. Die in der Religion propagierten Werte
und Gefühle können, in einem anderen Rahmen, wieder zu ihrem vollen menschlichen Recht kommen. Haben wir den Irrweg einer
Jenseitsreligion verlassen, steht uns, mit einem veränderten Blick auf den Menschen und die ihn umgebende Welt, der direkte
Weg einer Diesseitsreligion wieder offen.
Wer Feuerbachs Hauptwerk ausschließlich als eine aufklärerische Religionskritik liest, wird vermutlich immer wieder irritiert
durch die von religiöser Bildlichkeit geprägte Sprache. Mit diesen Bildern feiert Feuerbach den natürlichen, sinnlichen Menschen,
derwieder zu sich selbst zurückgefunden hat und für den Essen und Trinken in einem neuen Sinn zum »Mysterium des Abendmahls«
geworden sind. Man brauche, so erklärt Feuerbach, »nur den gewöhnlichen, gemeinen Lauf der Dinge zu unterbrechen, um dem Gemeinen
ungemeine Bedeutung, dem Leben überhaupt religiöse Bedeutung abzugewinnen«. »Heilig sei uns darum das Brot«, lautet deshalb
der emphatische letzte Satz des Werks, »heilig der Wein, aber auch heilig das Wasser! Amen.« Es ist das Credo einer neuen
Weltfrömmigkeit.
Das Wesen des Christentums
hatte unter Feuerbachs Zeitgenossen eine enorme Wirkung, erlebte mehrere Auflagen und wurde von Feuerbach immer wieder neu
bearbeitet. Im Milieu der Junghegelianer löste es allerdings ein zwiespältiges Echo aus. Max Stirner rieb sich an Feuerbachs
religiöser Sprache und kritisierte seine Lehre als eine
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