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Das neue Philosophenportal

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Titel: Das neue Philosophenportal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Zimmer
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ganz auf die Seite des Individuums. Diese Freiheit ist für ihn zwar nicht alles
     – aber ohne sie ist alles nichts.
    Dass sein Leben und seine Überzeugungen miteinander harmonierten, gehört zu den bemerkenswerten Seiten des Philosophen John
     Stuart Mill. Ein Kunstexperte braucht selbst kein großer Maler zu sein. Ebenso muss ein Philosoph, der uns den Begriff der
     Freiheit erläutern kann, kein Vorkämpfer gegen Unterdrückung sein. Doch Mill war genau dies: ein mutiger, unerschrockener
     Mann, der auch die Außenseiterexistenz nicht scheute und keinem Konflikt mit der Gesellschaft auswich.
    Dazu musste er allerdings einen weiten Weg zurücklegen. Seine gesamte Jugend verbrachte er in den Fesseln einer Erziehung,
     die sein Vater James Mill für ihn vorgesehen hatte. James Mill stammte aus kleinen und beengten Verhältnissen in der schottischen
     Provinz, hatte sich als Selfmademan und Freigeist zum Mittelpunkt der radikaldemokratischen Opposition in London, der sogenannten
     »radicals«, emporgearbeitet. Er gehörte schließlich zu den bekanntesten Intellektuellen der englischen Hauptstadt und bekleidete
     einen hohen Posten in der East India Company.
    Vor allem aber war James Mill ein Anhänger des »Utilitarismus« (von lat. »utilitas« = »Nützlichkeit«), einer philosophischen
     Richtung, die von seinem Freund Jeremy Bentham Ende des 18.   Jahrhunderts begründet worden war. Bentham propagierte nicht nur, dass Nützlichkeit Maßstab jedes moralischen Handelns sein
     müsse mit dem Ziel, das »größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl« zu befördern; er forderte auch eine Reform gesellschaftlicher
     Institutionen nach streng rationalen Prinzipien.
    James Mill wollte seinen 1806 in London geborenen Sohn zu einem Modell utilitaristischer Erziehung machen. Ganz im Sinne der
     Maxime, »keine Zeit zu verlieren«, konzentrierte sie sich ausschließlich auf die Entwicklung rationaler Fähigkeiten, während
     seelische und emotionale Anlagen vernachlässigt wurden. John Stuart besuchte weder Schule noch Universität. Er lernte in häuslicher
     Abgeschiedenheit und war einem genauen Erziehungsplan unterworfen.Unter der strengen Aufsicht seines Vaters lernte er mit drei Jahren Griechisch, mit acht Jahren Latein und mit zehn Jahren
     die Differenzialrechnung. Dazu kam eine Unmenge schöngeistiger und historischer Lektüre. In Anspielung auf den Begründer des
     neuzeitlichen Rationalismus, René Descartes, für den der Mensch eine »denkende Maschine« war, schrieb John Stuart Mill später
     in seiner
Autobiographie
, er sei zu einer »reasoning machine« erzogen worden.
    Zunächst erfüllte er die Erwartungen seines Vaters, trat wie dieser in die Dienste der East India Company und wurde Kopf einer
     Gruppe von jungen, radikalen Reformern im Geist des Utilitarismus. Spätestens seit John Locke Ende des 17.   Jahrhunderts die absolute Macht des Staates in Frage gestellt und seit mit der »Glorreichen Revolution« von 1689 eine eingeschränkte,
     konstitutionelle Monarchie eingeführt worden war, gab es in keinem anderen Land Europas eine so ausgeprägte öffentliche Diskussionskultur
     wie in England.
    Für die jungen »radicals« gingen diese Errungenschaften aber nicht weit genug. In zahlreichen brillanten Artikeln schrieb
     Mill schon als geistig frühreifer Teenager gegen den Reformstau in Kirche und Staat an. In der Sicht der Öffentlichkeit galt
     er als verlässliches Sprachrohr seines Vaters.
    Die vom Vater gelegten Fundamente prägten Mills Leben noch lange. Er blieb sein Leben lang Utilitarist und verbrachte insgesamt
     fünfunddreißig Jahre in Diensten der East India Company. Ab den 1830er Jahren füllte er allerdings die utilitaristische Position
     mit neuen, von den Ansichten seines Vaters abweichenden Inhalten und begann ein eigenständiges und umfangreiches philosophisches
     Werk zu publizieren. Zwar hielt er wie Bentham an dem gesellschaftlichen »Glück« als dem Ziel politischen und moralischen
     Handelns fest, doch sah er dieses Glück nicht mehr als eine Anhäufung von »pleasure«, von »Lust«, sondern als ein durch geistige
     und kulturelle Erfahrungen qualifiziertes Glück.
    Eine erste große persönliche Krise erlebte er mit zwanzig Jahren, als er sich eingestehen musste, dass das vernünftige Streben
     nach gesellschaftlicher Nützlichkeit alleine ihn nicht glücklich machte. Erlöste sich von einem einseitigen Rationalismus und erkannte die Bedeutung einer ganzheitlichen

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