Das neue Philosophenportal
Entwicklung der Persönlichkeit,
wie sie der englische Dichter und Theoretiker Samuel Taylor Coleridge und die deutsche Literatur der Goethezeit propagierten.
Der junge Kopfarbeiter entdeckte die Welt der Poesie und Gefühle.
Mill war 24 Jahre alt, als er mit dieser Welt auch leibhaftig in Berührung kam. Er traf Harriet Taylor, die Frau eines wohlhabenden Londoner
Kaufmanns, die zur Liebe seines Lebens wurde. Obwohl ihr Verhältnis lange Zeit eher den Charakter einer »Seelenfreundschaft«
und engen geistigen Verbindung hatte, löste es im viktorianischen England einen Skandal aus und führte dazu, dass sich beide
in die gesellschaftliche Isolation zurückzogen. Erst 1851, nach dem Tode ihres Mannes, konnte Mill Harriet heiraten.
Harriet Taylor war eine kreative und geistig sehr produktive Frau, die ein Jahrhundert später im intellektuellen Leben eines
westlichen Landes sicher eine große Rolle gespielt hätte. Im viktorianischen Zeitalter, in dem Autorinnen häufig noch männliche
Pseudonyme annahmen, um in der Öffentlichkeit anerkannt zu werden, blieb ihr dies verwehrt. Obwohl sie sich immer wieder mit
Artikeln zu Wort meldete, ist der größte Teil ihrer geistigen Hinterlassenschaft nur indirekt sichtbar – in dem Einfluss nämlich,
den sie auf Mills Werk ausübte.
Harriet war es, die Mill dazu brachte, sich stärker mit der sozialen Lage der Arbeiterschaft in der frühindustriellen Gesellschaft
auseinanderzusetzen. Von einem reinen Liberalismus, der alles dem freien Markt überlassen wollte, rückte Mill unter dem Einfluss
Harriets nun ab. Anknüpfend an die Schriften des französischen Frühsozialisten Claude Henri de Saint-Simon, trat er nun stärker
für soziale Reformen und eine gerechtere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums ein. Er versuchte die Forderung nach
individueller Freiheit und sozialer Gerechtigkeit miteinander zu verbinden. In seinen 1848 fast gleichzeitig mit dem
Kommunistischen Manifest
von Karl Marx und Friedrich Engels erschienenen
Prinzipien der politischen Ökonomie
widmete er der »Zukunft der arbeitenden Klassen« ein eigenes Kapitel.
Harriet bestärkte auch Mills Interesse an der gesellschaftlichen Lage der Frau. Die Erfahrung der sozialen Ächtung und des
gesellschaftlichen Konformitätsdrucks, denen Harriet und Mill ausgesetzt waren, machten ihn für die unterschiedlichen moralischen
Maßstäbe, die an Männer und Frauen angelegt wurden, sensibel. Kein anderer Philosoph des 19. Jahrhunderts hat in seiner Forderung nach Freiheit so nachdrücklich die Rechte die Frau eingefordert wie Mill.
Die Erfahrung, dass die eigene Lebenserfüllung mit den gesellschaftlichen Konventionen in Konflikt geriet, führte aber auch
dazu, dass Mill gegenüber dem Anspruch der Gesellschaft, auf das Leben des Einzelnen Einfluss zu nehmen, nun eine äußerst
kritische Haltung einnahm. Bereits Anfang der 1830er Jahre hatte er das Werk Auguste Comtes, des Begründers des Positivismus
(von lat. »positum« = das »erfahrungsmäßig Gegebene«), kennen gelernt. Wie dieser glaubte er, dass jede Gesellschaftstheorie
sich auf die Ergebnisse der Naturwissenschaften stützen muss. Die gesellschaftspolitischen Vorstellungen Comtes, die auf eine
totale Kontrolle und Reglementierung der Gesellschaft hinausliefen, lehnte er jedoch ab.
Hierin bestärkt wurde er durch einen anderen Franzosen, Alexis de Tocqueville, einen Vordenker des Liberalismus. Tocqueville
war ein scharfsinniger Beobachter zeitgenössischer gesellschaftlicher Entwicklungen. Er sah die Freiheit des Individuums auch
dort gefährdet, wo man es am wenigsten vermutete: in den gerade entstehenden modernen Demokratien und Massengesellschaften.
In
Über die Demokratie in Amerika
, dessen zwei Bände 1835 bis 1840 erschienen, zog er optimistische, aber auch skeptische Schlussfolgerungen aus seinen Reiseerfahrungen
in den jungen Vereinigten Staaten. Zu den skeptischen Folgerungen gehörte die These, dass die entstehende Massendemokratie
eine neue Form der öffentlichen sozialen Macht ausbilde, die auf eine »Tyrannei der Mehrheit« hinauslaufe. Der Druck der öffentlichen
Meinung sei in den modernen Demokratien die größte Gefahr für die Freiheit des Einzelnen. Auch fürchtete Tocqueville eine
Machtkonzentration in Händen des Staates. Er war ein Kritiker der Zentralisierung. Mill las Tocquevilles Buch unmittelbar
nach dessen Erscheinen und würdigte es ausführlich in einer
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