Das Neue und seine Feinde - wie Ideen verhindert werden und wie sie sich trotzdem durchsetzen
Vertrauenskampagnen (»Bei uns sind Sie König, dort aber werden Sie billig behandelt«) und Hinweisen auf die fabelhafte Premiumberatung und -betreuung. Fast zugleich beginnt man in den alten Unternehmen, auf die Kostenbremse zu treten, um im Preisvergleich mit dem Neuen nicht hoffnungslos unterzugehen. Banken bieten nun kostenlose Konten an, Händlerrabatte, alle versuchen es mit undurchschaubaren »Gesamtpaketen«, die kaum Preisvergleiche zulassen. Alle optimieren die Organisation, drängen auf Effizienz und Kostendisziplin, versuchen, möglichst viele Jobs zu streichen oder ihre Mitarbeiter schlechter zu bezahlen – kurz: sie bekämpfen den Billigfeind, der disruptiv von unten droht, nun mit einer Annäherung von oben. Sie geben die absoluten Qualitätsansprüche auf und versuchen ihre Produkte billiger anzubieten. Banken zum Beispiel stellen jetzt kaum noch Starberater ein, sie versuchen mit angelernten Zeitarbeitskräften, den Kunden eher mithilfe eines Flachbildschirms mit Daten zu versorgen als selbstdenkend zu beraten. Wenn ein Kunde dann doch eine Superberatung will, schickt man ihn zum VIP-Center 30 Kilometer weiter. Das funktioniert sogar recht gut, weil sich inzwischen herausstellt, dass die ausgiebige Beratung von Kunden eigentlich gar nicht mehr gebraucht wird, denn sie informieren sich schon lange im Internet. Man sieht es auch daran, dass die Kunden absolut nicht bereit sind, für Premiumberatung gutes Geld zu bezahlen.
Verschiedene Problemkreise entstehen:
Kunden wollen das Tolle am Neuen, aber sie bewerten das Tolle am Alten nun nicht mehr entfernt so hoch wie früher. Die Stärken des Alten werden nicht mehr gewürdigt, sie werden als selbstverständlich hingenommen und in jedem Fall nicht mehr geldlich oder durch hohe Anerkennung honoriert.
Das Alte baut oft die eigenen Stärken ab, um effizienter und kostengünstiger zu werden. Dadurch nähert es sich dem Neuenan, aber von
oben
, während das Neue sich dem Alten von
unten
annähert.
Das Alte versäumt es oft, die Stärken des Neuen zu kopieren oder sich selbst anzueignen. (Zum Beispiel ist das Internetbanking bei Großbanken nicht so gut wie das der ursprünglichen Internetbanken.)
Das alles dreht die alte Seele des Etablierten vollkommen um. Nach dem Höhepunkt der Hybris herrscht nun halb gelähmtes Durchwursteln. Können Sie sich die früher als wirklich ehrenwert behandelten Bankangestellten vorstellen, die nun standardisierte computergesteuerte »Flachbildschirmrückseitenberatung« betreiben müssen? Sie fühlen sich wie ein promovierter Arzt, der jetzt als hektische Pflegekraft unter Druck arbeiten muss. Es dreht sich den Fachkräften die Seele um, wie einem Arbeitslosen, der »Arbeit unter seinem Ausbildungsstand (= Würde)« annehmen soll, der das deshalb ablehnt und dafür wütende Proteste erntet, die »Realitäten nicht anzuerkennen«.
Zuerst hat das Alte über das Neue laut gelacht! Es hat es danach gehasst und muss sich am Ende fragen, »wozu denn das alles gut war«, wenn das Neue nun siegt.
Das erzeugt Stress! Das Wort »Stress« wird in zweierlei Sinn gebraucht. Mit Eustress wie Euphorie + Stress bezeichnet man die Stimmung, unter hohem Druck siegesgewiss oder zeitvergessen fröhlich gut zu arbeiten. Es ist die Stimmung, in der man große Herausforderungen stemmt. Es ist die Stimmung, in der sich das Neue befindet, wenn es langsam am Markt Fuß fasst und merkt, dass es das Chasma der Innovation überwunden hat. Alle im Neuen werden nun reich! Der zerstörerische, angstbesetzte und beklemmende Stress aber wird Distress genannt. Er lässt uns unter Tunnelblick und Seelenhölle hektisch agieren oder lähmt bis zum seelisch-körperlichen Totstellen. Das Neue erobert unter Eustress die Welt, während das Alte unter Distress sein Revier verteidigt. Ich hole einmal plakativ aus:
Das Neue feiert unter Eustress Innovation.
Das Alte bezeichnet seine Reaktion auf das Neue
als notwendigen Wandel – unter Distress!
Und noch einmal plakativ:
Innovation ist wie Wollen, Wandel ist wie Müssen.
Eine Internetbank
will
die persönliche Beratung obsolet machen, die Bank
muss
die Topberatung in VIP-Center konzentrieren, um kostengünstig zu sein. Sie hasst die Kostengünstigkeit unter Distress, während die Internetbanker unter Eustress jubeln. Die Logistikmitarbeiter bei Amazon verdienen nicht so arg viel, so heißt es oft in der Presse, aber sie sind pfauenstolz, bei Amazon arbeiten zu dürfen. Die Buchhändler verdienen auch schlecht,
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