Das Neue und seine Feinde - wie Ideen verhindert werden und wie sie sich trotzdem durchsetzen
weil sie ihren Job lieben oder bisher liebten. Sie beginnen zu trauern. Es ist ein Unterschied wie zwischen gefühltem baldigen Sieg und gefühlter nahender Niederlage.
Die großen etablierten Unternehmen arbeiten fieberhaft an ihrem Überleben. Change-Agents fordern zum Wandel auf. Mitarbeiter werden mit positiven Botschaften überschwemmt, wie gut und notwendig, wie unausweichlich der Wandel sei. Topmanager befehlen oder flehen, den anstehenden Wandel bitte schön positiv zu sehen – sie beschwören, es gebe auch immer eine neue Chance im Wandel. Die Change-Manager verlangen, dass die Mitarbeiter den in ihnen wütenden Distress in eigenverantwortlicher Seelenverdrehung als Eustress empfinden. »Man muss alles positiv sehen! Jeder, den wir feuern, macht die verbleibenden Arbeitsplätze sicherer! Freut euch darüber!«
Die Manager spüren, dass der unausweichliche Wandel wegen des Distresses ausbleibt. Sie können die Gehirne der Mitarbeiter vielleicht noch intellektuell überzeugen, aber der Distress sitzt in allen Körpern. Die Manager werden am Distress scheitern – und das Alte stirbt. Die Kunst der Innovation ist, unter dem Gefühl des Wollens zu arbeiten – unter Eustress. Das will ich im Folgenden noch stärker herausarbeiten.
Kurze Psychologie der Innovation und des Wandels
Der Psychoanalytiker Fritz Riemann publizierte 1961 ein berühmtes Buch mit dem Titel
Grundformen der Angst
. Es ist längst zum Klassiker geworden. Ich habe es schon in meinem Buch
Professionelle Intelligenz
zitiert – in vielen Leserreaktionen wurde dieses Buch geradezu verehrt!
Riemann studierte darin vier Persönlichkeitsausrichtungen des Menschen, die sich in ihren Grundängsten unterscheiden:
Angst vor Wandel (Merkmal der
zwanghaften
Persönlichkeit).
Angst davor, dass alles notwendig so bleibt (Merkmal der
hysterischen
Persönlichkeit).
Angst vor der Selbstwerdung (Merkmal der
depressiven
Persönlichkeit).
Angst vor zu viel Nähe (Merkmal der
schizoiden
Persönlichkeit).
Klar? Es gibt Menschen, die grundsätzlich Angst vor Wandel haben und diesen ganz natürlich als Distress empfinden oder geradezu phobisch darauf reagieren. Andere haben Angst, dass alles so bleibt! Sie werden krank vor Langeweile, wenn alles nach Tradition und Geschäftsprozess zum ewig Gleichen werden sollte. Ich beschreibe nur diese beiden Pole, das Zwanghafte und das Hysterische, hier einmal normalpsychologisch, und lehne mich dabei an Rudolf Sponsels Buch
Die vier Grundstrukturen nach Fritz Riemann’s Grundformen der Angst
an.
Zwanghafte Persönlichkeit:
Sie zielt auf Recht und Ordnung, wahr und falsch, jede Frage hat eine richtige Antwort, sie liebt Kontrolle, Macht und Beherrschung. Alles muss perfekt sein. Sie ist gewissenhaft, ehrgeizig, ausdauernd, hartnäckig, sauber und sachlich. Sie strebt nach Sicherheit, Eigentum, ist deshalb vorsichtig und sparsam. Sie ist bodenständig, konservativ, konsequent und immer verlässlich.
Hysterische Persönlichkeit
: Sie möchte ein anregendes, interessantes, spannendes Leben voller Abwechslung und Abenteuer, dafür sind ihr auch Risiken recht (»no risk, no fun«). Sie ist impulsiv, unternehmungslustig, liebt die Show, das Stehen im Mittelpunkt und den damit verbundenen Applaus. Sie giert nach Kontakten, begeisternden Momenten, neuen Ideen. Gleichzeitig ist sie unstet, oberflächlich und immer auf der Suche nach Neuerungen.
Und ich lese jetzt einmal für Sie heraus:
Das hysterische Prinzip sehnt sich nach neuer Zukunft, Wandel, Innovation und neuen Sinnenfreuden – das zwanghafte Konzept setzt fleißig strebend die geliebte Vergangenheit als immer perfektere Zukunft fort.
Die zwanghafte Körperdisposition hat Angst vor Wandel, empfindet ihn also grundsätzlich als nervös machenden Distress. Es hat nur begrenzt Sinn, Zwanghafte durch bloße (»hohle«) Worte zum Hysterischen bekehren zu wollen. Dieser wortreiche Ansatz aber stellt ingroßen Unternehmen die wichtigste Strategie dar. Kommunikationsabteilungen preisen in überschäumenden rhetorischen Begeisterungsberieselungen den Wandel als selig machend an. Ein Großteil der Mitarbeiter aber sieht jede Andeutung von Wandel als Bedrohung, und ganz besonders jede Andeutung, die den Wandel
generell
positiv sieht, die also gegen ihre zwanghafte Seelenhaltung gerichtet ist.
Das verstehen Manager großer Firmen entweder gar nicht – oder sie nehmen an, dass vielleicht die Hälfte der Mitarbeiter eben »hysterisch« ist, den Wandel daher als Chance sieht,
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