Das Neue und seine Feinde - wie Ideen verhindert werden und wie sie sich trotzdem durchsetzen
allen solchen Zeitschriften den höchsten Impact-Factor hat. Da ich das damals nicht beachtet habe, werde ich heute bestimmt eine lausige Kennzahl als Forscher haben. Ich bin übrigens erstaunt, dass meine meistzitierte Arbeit schon bei 909 Zitationen ist. Wie kann das sein? Sie erschien 1990 und lag lange, lange Jahre bei 100 bis 200 Zitationen – da muss doch eine Inflation stattfinden oder eine Zitationsblase entstanden sein, oder? Noch einanderes Argument: Ich schreibe seit 13 Jahren alle zwei Monate eine lange Kolumne im
Informatik-Spektrum,
der Mitgliederzeitschrift der Gesellschaft für Informatik. Laut einer Marktforschungsumfrage wird meine Kolumne von durchschnittlich 8 000 Lesern tatsächlich gelesen (bei einer Auflage um die 25 000). Das sind sehr viele! Aber das
Informatik-Spektrum
ist nicht für Impact-Points angemeldet. Ich gehe deshalb punktemäßig leer aus. Ich verkrafte das, ich bin ja habilitiert. Aber jüngere Forscher wollen nicht mehr im
Informatik-Spektrum
publizieren. Zwar würden ihre Artikel
weithin
gelesen, aber leider gibt es keine Punkte. Kein Handschlag mehr ohne Punkte! Das üben die jungen Leute heute schon bis zum Bachelor im Studium, wo es auch »nur« um Punkte geht.
Mit alledem will ich sagen, dass Forschungspunkte für die Bewerbungen finster ernst und exzessiv bedeutend geworden sind. Jeder steht weltweit mit jedem anderen im harten Vergleichswettbewerb. Die Kennzahlen sind leider noch so schlecht und so sehr manipulierbar, dass jeder junge Mensch ein sorgfältiges Publikationsmanagement und Zitationsnetworking betreiben sollte. »Nur noch Impact-Factors im Kopf!« Denn mit den Impact-Factors steht und fällt seine Karriere.
Meine eigene meistzitierte Arbeit bezieht sich auf ein mathematisches Optimierungsverfahren, mit dem man großartige Verbesserungen bei Tourenplanungen, Flugpersonaleinsatz oder dem Verlegen von Drähten auf Chips erzielen kann. Sie gibt mir eine gute Kennzahl als Forscher. Aber das, was darin steht, kann doch offensichtlich angewendet werden! Es liegt nahe, nicht nur die paar Seiten Algorithmus zu publizieren, sondern das Verfahren wirklich einmal an echten Problemen des Alltags auszuprobieren und der Menschheit damit eine echte und wertvolle Innovation zu bescheren. Das haben wir bei IBM gemacht, es hat einige Jahre Arbeit gekostet. Hätten wir uns das als Forscher an der Universität leisten dürfen? Ein paar Jahre »ohne jeden Impact«?
Meine Arbeitsgruppe im Wissenschaftlichen Zentrum der IBM hat damals angefangen, für die wertvollen Optimierungsergebnisse von Kundenunternehmen Geld zu verlangen. Wir schafften es bis zu mehreren Millionen Umsatz im Jahr. Das wurde in der Universität fast übel genommen (»Die machen jetzt keine Wissenschaft mehr«), und es wurde sogar in der internen IBM-Forschung mit leisem Unmut bedacht:»Gunter, es ist ja okay, Geld zu nehmen, und wenn’s dich freut, freut’s mich auch. Aber das wird Kreise ziehen. Sie werden von uns anderen Wissenschaftlern auch verlangen, Geld zu verdienen, das können wir mit unseren viel zu theoretischen Forschungen gar nicht – und ehrlich: Das wollen wir auch nicht, aber wir dürfen es dann nie offen vertreten. Wir sind Forscher, keine Unternehmer. Wir wollen hier in Ruhe denken, nicht wie du in der ganzen Welt rumsausen und verkaufen, verhandeln und nachts im Hotel arbeiten. Wir haben uns schließlich an ein wissenschaftliches Zentrum beworben. Wir wollen unseren Lebensplan nicht verändern.«
Ich illustriere die Argumentationen nochmals in Kurzform:
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Resistenzen in der Wissenschaft gegen Innovation
Resistenzen im Wissenschaftlercharakter
Wissenschaftler sind von ihrem Verhalten her und in ihrer eigenen Vorstellung keine Innovatoren. Die typische Psyche eines antreibenden Innovators ist eine andere als die eines bedächtigen Forschers. Ich möchte das an einem gängigen psychologischen Modell erhellen.
Kennen Sie das schöne Vorstellungsbild von Leithammeln und damit assoziierten Hierarchien bei Tieren? Tierrudel werden von Leittieren angeführt, das sind oft Männchen (Stiere, Silberrücken-Gorillas) oder Paare (Pferdeantilopen) oder bei manchen Arten Weibchen (Mufflons). Beim Menschen gibt es alle drei Varianten, aber in schiefer Verteilung zum Mann hin. Das Studium der Rangordnungen bei Tieren untereinander hat zu einer fruchtbaren Begriffsbildung beim Managementtraining oder beim Teambuilding geführt. Lässt sich aus dem natürlichen Verhalten von Tieren
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