Das Neue und seine Feinde - wie Ideen verhindert werden und wie sie sich trotzdem durchsetzen
sind. Das Lernen und noch einmal Lernen bei Kunden kommt dabei nicht vor. Der Kunde hat das Recht, sich die Innovation auf seine Bedürfnisse zuschneiden zu lassen. Nicht aber das Finanz-Controlling, das etwa Kompromisse im Geschäftsmodell des Neuen fordert, damit es sich besser verbuchen lässt.
Solche innerbetrieblichen Anpassungszwänge bilden einen Teil des Immunsystems gegen Innovationen.
Vielleicht kennen Sie dieses Abschleifen von Innovationen in der politischen Gesellschaft, die dort zum Beispiel »Reformen« genannt werden. Nach vielen Jahren Debatte mit CloseMinds und Antagonisten kommt fast stets etwas heraus, was eher nach den Parteiinteressen als nach denen der Bürger abgeschliffen ist und in der Presse als »Reförmchen« verhöhnt wird. Hier sehen Sie auch in der Demokratie ein ungeheuer starkes Immunsystem wirken.
Der gemanagte Innovationsprozess wird mit der Idee eingeführt, das Immunsystem gegenüber Innovationen zu schwächen und Innovationen zu fördern. Der Prozess selbst aber führt dazu, dass das Immunsystem eher gestärkt wird. Das ist die wahrscheinliche Tragödie von gemanagter Innovation, wenn sie davon ausgeht, dass die Einführung des geordneten Prozesses an sich genügt (ohne Top-Professionals und erfahrene Innovatoren).
Was bleibt? Umgehen des Prozesses, weil der Innovator fühlt, dass der Prozess seine Angelegenheit bremst. Damit wird er aber selbst zum Rebell, und er wird nun als Person vom Immunsystem des Unternehmens angegriffen, das keine Ausnahmen erlaubt.
Und das kommt dabei heraus: Der Innovator gerät gruppendynamisch in die Omega-Position. Ich zitiere die Beschreibung des Omegas aus dem früheren Kapitel:
Das
Omega-Tier
(Veränderung) hat eine eigene Meinung, kritisiert offen und scheut keine Konfrontation. Es würde am liebsten alles revolutionär verändern und kann darüber natürlich eigentlich nur mit dem Alpha-Tier vernünftig reden … Im Gegensatz zum Alpha-Tier repräsentieren die Omegas eben nicht genau die Werte des Ganzen, sondern sie wollen andere – sie stellen infrage. Das ist ein Drahtseilakt, der immer nur eine feine Trennlinie zwischen Fruchtbarkeit der Veränderung oder echtem Krach kennt.
Und ich halte immer wieder Gifford Pinchot hoch: Sie müssen als Innovator bereit sein, durch 100 Prozent Ungemach zu waten, und Sie werden nur dann besser vorankommen, wenn sie »underground« arbeiten, wenn Sie also nicht auf dem Radar des Prozessmanagements gesichtet werden und deshalb keine Reaktionen im Immunsystem auslösen. Muss das so sein? Muss der Innovator das Immunsystem unterlaufen? Könnte man das Unternehmen nicht auch so konzipieren, dass es Innovationen nicht als feindlich betrachtet? Denken Sie an Ihren Körper, der alle feindlichen Bakterien tötet und damit gesund bleibt. Er lässt aber wohlweislich alle Darmbakterien in Ruhe, weil er ohne sie nicht überlebt. So etwas müsste im Unternehmen doch möglich sein? Dass sein Immunsystem zwischen Freund und Feind unterscheiden kann?
Genau das denkt das Management auch öfter, wenn die Ideensammlungen in Meetings so gar keine Ergebnisse zutage fördern, und insbesondere, wenn in der Presse darüber geklagt wird, dass das Unternehmen sein innovatives Image zu verlieren droht. Das berührt den Aktienkurs und damit einen empfindlichen Punkt. Jetzt wird Innovation zur Chefsache gemacht!
Der Vice President Innovation macht alles wie immer
Sehr oft wird in solchen Krisenmomenten ein Vice President (VP) für Innovation ernannt. Er untersteht direkt dem Vorstandsvorsitzenden, damit vollkommen klar ist, mit welcher enormen Machtfülle er ausgestattet ist. Wenn er etwas will, redet er nämlich unmittelbar mit dem Chef – was für ein Privileg!
(Anmerkung: Mit dem Chef sprechen will das Omega ja auch, aber es hat nicht das offizielle Privileg dafür. Das Alpha-Tier könnte sich das Omega ja anhören – nein, vorher ernennt man lieber einen VP.)
Der VP Innovation bekommt nun die Aufgabe, alles zu richten. Er bekommt seine Position oft im Rahmen eines persönlichen Entwicklungsplans, Innovation als »Herausforderung« anzunehmen, um sich bei einer Bewährung für »höhere Weihen« zu empfehlen. Im Klartext: Man ernennt einen meist jüngeren »High Potential Manager« zum VP Innovation, der richtig Ehrgeiz und Biss hat. Der soll sich auszeichnen und anschließend aufsteigen. Der neue VP bekommt einen Assistenten und einige Mitarbeiter, die er sich selbst aus dem Unternehmen frei wählen darf. Es wird
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