Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence
weiter.
Nico holte tief Luft und beugte sich nochmal vor, um dem Hund die Ohren zu kraulen. » Alles klar, Kumpel«, sagte er. » Zeit zu gehen.«
Der Motor des Wagens heulte auf, bevor er klackernd ansprang. Blackie war hinten in einem Käfig, in den er bereitwillig gegangen war. Sein Körbchen, die Näpfe und alle anderen Spuren seiner Existenz waren aus der Waschküche entfernt und in den Wagen verfrachtet worden. Nico und Aishe hatten das Haus verlassen, ohne sich zu verabschieden, hörten aber vom Wohnzimmer her das Toy Story -Lied: » Du hast’n Freund in mir.«
Die ersten fünf Minuten der Fahrt brachte Aishe vor lauter Wut kein Wort heraus. Nico schwieg ebenfalls– aus dem gleichen Grund, wie Aishe annahm.
» Du hättest ihr sagen sollen, dass wir den Hund einschläfern lassen müssen«, sagte Aishe, » wenn wir kein neues Zuhause für ihn finden.«
» Ach ja?«, fragte Nico zurück.
» Ja, zum Teufel! Sie hätte erfahren müssen, welche Konsequenzen es hat, so eine blöde Kuh zu sein!« Wütend fuchtelte Aishe mit den Armen. » Ich wüsste wirklich gerne, was sie vorhat, ihrem Sohn jetzt zu sagen!« Sie verstellte ihre Stimme und sagte in affektiertem, süßlichem Ton: » Ach, Schätzchen, Blackie ist im Doggie-Camp. Er wird dort ganz viel Spaß haben!«
» Halt die Klappe, Aishe«, sagte Nico.
» Äh, wie bitte?«, erwiderte Aishe. » Findest du etwa gut, was sie gemacht hat? Findest du gut, dass sie ihr Kind bescheißt und ihren Hund möglicherweise in den Tod schickt?«
» NEIN , DAS FINDE ICH NICHT GUT , VERDAMMT NOCH MAL !«
Noch nie hatte Aishe erlebt, dass Nico die Stimme hob oder gar brüllte wie jetzt. Sie war so geschockt, dass sie zusammenzuckte. Sie schrumpfte auf ihrem Sitz zusammen und starrte ihn erschrocken an.
» Herrgott, noch mal, Aishe.« Nico hatte die Stimme gesenkt, atmete aber immer noch schwer. » Warum machst du diesen Job überhaupt? Warum bist du überhaupt hier?«
Er wartete ihre Antwort gar nicht erst ab. » Kannst du nicht sehen– hast du es nicht mittlerweile gemerkt, verdammt noch mal!– dass es nicht nur um die Tiere geht? Klar, Tierquäler müssen gestoppt und bestraft werden. Aber nicht nur zum Wohl der Tiere– auch zum Wohl der Menschen, zum Wohl ihrer Kinder, Frauen und Freundinnen, die die Tierquäler auch misshandeln werden. Diese Frau…« Er warf seinen freien Arm hoch, sodass der Lieferwagen leicht aus der Spur geriet, » hat einen Hund gekauft, um ihren Sohn auf andere Gedanken zu bringen. Denn sein Vater ist abgehauen! Sie wollte, dass er sich nicht mehr so allein fühlt. War das klug? Nein. Sie hätte sich vorher besser darüber informieren sollen, was ein Hund so braucht. Aber war es verständlich? War es eine Entscheidung, für die jeder vernünftige Mensch Verständnis hätte? Ja, zum Teufel noch mal!«
Er verstummte, um wieder zu Atem zu kommen. Sein Gesicht und sein Hals waren hochrot und fleckig. Aishe ertappte sich dabei, wie sie versuchte, sich an Erste-Hilfe-Maßnahmen bei Herzinfarkten zu erinnern. Doch dann richtete Nico sich auf und begann, langsam tief ein- und auszuatmen. Die roten Flecken verschwanden, der Fangarm des Oktopus auf seinem Hals wurde langsam wieder sichtbar.
Aishe wollte ihn zwingen, sie anzusehen, aber er hielt den Blick starr geradeaus gerichtet. Sie verspürte den Drang, sich für alles zu entschuldigen, aber das kam ihr nicht angemessen vor. Nicht ausreichend. Zum ersten Mal wurde ihr klar, dass auch sie in den Genuss von Nicos Mitgefühl gekommen war. Er hat mich nur nicht gefeuert, weil er Mitleid mit mir hat, dachte sie. Er hat mein ständiges Zetern und Wüten durchschaut und gesehen, wie sehr ich diese Arbeit brauche. Dabei begreife ich noch nicht mal selbst, warum ich sie brauche!
Er war anständig zu mir, erkannte sie. Das habe ich immer gespürt. Deshalb bin ich so erpicht darauf, dass er gut von mir denkt. Aber wie üblich hab ich mal wieder all meine guten Absichten sabotiert. Er war anständig zu mir, und ich hab’s ihm mit meinem üblichen Scheiß gelohnt.
» Ich könnte ihn nehmen«, sagte sie. » Blackie, meine ich.«
Es dauerte eine Weile, bis Nico antwortete. » Ich dachte, du wolltest keinen Hund, um flexibel zu bleiben.«
» Ich wohne jetzt schon seit fast zehn Jahren an demselben Ort«, erwiderte sie. » Ich glaube, mir war die Idee, jederzeit aufbrechen zu können, wichtiger als die Realität.« Sie verstummte kurz. » Gulliver hat sich schon immer einen Hund gewünscht.«
Wieder ließ
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