Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence
Scheiße…«
Patrick seufzte das Wort eher, als dass er es aussprach. Er schaute zu Harry auf seinem Schoß, der sich langsam durch einen Haufen Goldfischlis arbeitete. Da man ihn nicht einfach runtersetzen konnte, ließ Patrick es einfach.
Er sah wieder Benedict an, und diesmal war sein Blick unmissverständlich.
» Es tut mir leid«, sagte er. » Ich kann’s Ihnen nicht schonend beibringen. Reg Hardy ist an Krebs gestorben. Letzten Monat war seine Beerdigung.«
Benedicts einziger Gedanke war, wie merkwürdig er es fand, dass eine Information eine derartige körperliche Reaktion auslösen konnte. Er fühlte sich, als hätte man ihn an eine extrem kalte Quelle angeschlossen, deren eisiges Wasser jetzt durch seine Adern brauste und ihn so auskühlte, dass er weder seine Hände oder seine Arme, noch irgendwas von der Taille abwärts fühlen konnte. Seine Brust war wie zugeschnürt und eingedrückt, sodass er Mühe hatte zu atmen. Sein Gesicht war verzerrt und taub, er hatte es nicht mehr unter Kontrolle, und einen grauenhaften Moment lang spürte er, wie sich sein Mund weit öffnete, so wie bei Harry, kurz bevor er weinte. Mit unmenschlicher Anstrengung schaffte er es, genügend Luft einzusaugen, um die demütigenden Tränen zu unterdrücken. Aber es gelang ihm nur so gerade eben, weil sich jahrelang aufgestaute Wut, Angst und Verbitterung in sein Herz bohrten, wo sie auf einen Impuls echter Trauer trafen.
Sanft sagte Patrick: » Wieso hast du das nicht erfahren? Es stand in allen Zeitungen. Und im Internet.«
» Ich lese keine Zeitungen«, brachte Benedict hervor. » Und hatte auch noch nie einen Computer, nicht mal ein Laptop.« Er lachte kurz auf. » Zu viel Gepäck am Flughafen.«
» Aber du hast doch Zugang zu Gullivers Computer?«
Benedict schüttelte den Kopf. » Da hab ich nur Lehrmaterialien nachgesehen. Und Musik. Und– Zeugs…«
» Und niemand hat sich bei dir gemeldet? Keiner aus deiner Familie?«
Abrupt schob Benedict seinen Stuhl zurück und stand auf. » Bitte«, sagte er, » ich muss…«
» Klar, los«, sagte Patrick. » Ich pass auf diese Racker hier auf.«
Sein Stirnrunzeln war besorgt, freundlich. Das war mehr, als Benedict ertragen konnte. Ohne ein weiteres Wort verließ er die Küche und das Haus.
Fünf Minuten später kam Mo, sich die Haare mit einem Handtuch abrubbelnd, in die Küche. Sie sah Rosie im Hochstuhl und Harry auf Patricks Schoß.
» Ist Benedict auf der Toilette?«, fragte sie.
Dann fiel ihr Patricks Miene auf.
» Erzähl«, sagte sie und ließ sich auf einen Stuhl sinken. » Denn mir muss wirklich bewusst werden, dass es noch viel schlimmer für mich hätte kommen können.«
33
» Aishe hat mich zu Gullivers Konzert morgen Abend eingeladen.«
Mit verhaltener Hoffnung sah Chad über den Esstisch zu seiner Frau. Zum ersten Mal seit drei Tagen hatte sie in annähernd neutralem Ton mit ihm gesprochen. Bis dahin hatte alles, was sie an ihn gerichtet hatte, zwischen anklagendem Schluchzen und kalten Drohungen geschwankt.
» Gulliver?«
» Ihr halbwüchsiger Sohn. Er ist unser Babysitter.« Mo spießte mit ihrer Gabel ein Stück Hühnchen auf. » Aber das wüsstest du, wenn du da gewesen wärest.«
Chads winzige Seifenblase der Hoffnung zerplatzte. Er legte seine Gabel auf den Teller.
» Mo, werden wir je darüber reden können?«
» Was gibt’s da noch zu reden?«, gab Mo zurück. » Du hast mir doch erklärt, wie’s laufen wird.«
Chad legte den Kopf in den Nacken und sah zur Decke. » Herrgott.«
» Hast du auch mit ihm über deine spirituelle Reise gechattet?«
» Nein…«
» Schade«, sagte Mo. » Er hätte dir ein paar tolle Tipps geben können, wie man seinen Verpflichtungen nachkommt.«
» Hör mal, Mo«, sagte Chad. » Ich habe das Recht, einen Wunsch zu äußern. Das hat jeder. Und mehr verlange ich nicht. Es ist eine Bitte.«
» Wenn es eine Bitte wäre, könnte ich einfach ›nein‹ sagen«, entgegnete Mo. » Aber ich hab ›nein‹ gesagt, und was hat mir das gebracht?«
» Aber warum bist du so dagegen?«, fragte Chad.
» Weil es mir nicht gefallen wird.«
» Woher willst du das wissen? Das kannst du doch erst wissen, wenn du es versucht hast.«
» Ich bin kein Kleinkind mehr, dem man Brokkoli aufschwatzen kann«, gab Mo zurück. » Ich bin eine erwachsene Frau und weiß, was ich will.«
» Genau wie ich«, sagte Chad leise.
» Das«, erwiderte Mo und stach zur Betonung mit der Gabel nach ihm, » ist noch so was, womit du vollkommen
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