Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence
drauf, entschied sie, und riss die Kühlschranktür auf. Ich brauch ein Bier.
In letzter Zeit trank Aishe kaum noch etwas, dabei hatte sie sich in ihrer Jugend wilden Zechgelagen hingegeben. Sie vermutete, sie wären weniger wild ausgefallen, wenn ihr Vater da gewesen wäre. Aber so hatte meist Anselo sie gerettet, sie aus Klubs und Bars herausgeholt und einmal sogar– das erste und letzte Mal– aus einer Polizeiwache. Aishe öffnete die Bierflasche und prostete im Stillen ihrem Bruder zu. Danke, Anse. Genau betrachtet, schulde ich dir wohl was…
Türenknallen und Schritte ertönten im Treppenhaus, dann schob sich ein grinsender Gulliver in die Küche.
» Hi«, sagte seine Mutter und fragte dann, weil sie es nicht lassen konnte: » Was gibt’s denn zu lachen?«
Gulliver schoss direkt auf die Tacos zu, wühlte in der Tüte nach seinem und fing an, ihn direkt aus der Papierverpackung zu essen, wobei er geriebenen Käse und Salatfetzen auf dem Boden verstreute.
» Teller!«, befahl Aishe.
Gulliver verdrehte die Augen. » Wieso? Dann scheißt du mich wieder an, wenn ich ihn stehen lasse.«
» Du lässt ihn nicht stehen.«
Murrend öffnete Gulliver die Spülmaschine und holte einen Teller heraus. Als er Benedict in der Küchentür sah, nahm er noch einen zweiten und gab ihn ihm.
» Hier. Lass den bloß nirgends stehen.«
Benedict nahm den Teller. » Verstanden.«
Jetzt sieh dir dieses selbstgefällige Lächeln an, dachte Aishe. Ich hasse das!
Benedict bemerkte ihren Blick und hob die Augenbrauen. » Was hab ich jetzt schon wieder gemacht?«
» Nichts.« Wütend und beschämt zugleich, weil sie ertappt worden war, fragte sie zur Ablenkung: » Willst du ein Bier?«
» Ja, danke.«
» Kann ich auch eins?«, fragte Gulliver.
» Was glaubst du wohl?«, fragte Aishe zurück, während sie ein Bier aus dem Kühlschrank holte und es Benedict reichte.
» Ich wette, du hast in meinem Alter schon getrunken«, murrte Gulliver.
» Das wirst du nie erfahren.«
Aishe holte sich ebenfalls einen Teller und legte ein Taco darauf. Dann setzte sie sich an den kleinen Küchentisch. Die beiden anderen gesellten sich zu ihr.
» Was war denn eben so lustig?«, fragte sie noch einmal.
Benedict und Gulliver sahen sich verwirrt an. » Lustig?«
» Als ich nach Hause kam, habt ihr euch weggeschmissen vor Lachen.«
» Ach, das.« Gulliver unterbrach sich, um ein Stück von seinem Taco abzubeißen. » Das war nur wegen Romeo und Julia.«
» Romeo und Julia ist eine Tragödie. Normalerweise sind Tragödien nicht lustig, daher auch der Name.«
Gulliver verzog das Gesicht. » Es war nur wegen der Stelle, wo Benvolio sagt: ›W hy Romeo, art thou mad?‹ Du weißt schon, wie You mad? Like the Troll ?«
» Ben-Trollio«, bemerkte Benedict mit ausdrucksloser Miene, woraufhin Gulliver zu Aishes Zorn schnaubend auflachte.
» Ich habe keine Ahnung, worum’s geht«, erklärte sie. » Aber das ist mir auch vollkommen…«
Da klingelte das Telefon.
Aishe warf einen Blick auf ihre Uhr. » Diese verdammten Telefonverkäufer«, murmelte sie, stand aber dennoch auf, um dranzugehen.
Als sie die Küche verließ, hörte sie Gulliver sagen: » Problem?«, woraufhin Benedict und er wieder anfingen zu lachen.
Das Telefon lag auf der Couch, gegen ihr ausdrückliches Verbot, weil es so unweigerlich unter einem Kissen begraben werden würde. Sie schnappte es sich.
» Ja!«, bellte sie. » Was? Wer? …«
Dann sagte sie: » Das soll wohl ein Witz sein.«
» Wer war das?«, fragte Gulliver, als sie in die Küche zurückkehrte.
Aishe setzte sich wieder, nahm ihr Bier und trank einen großen Schluck.
» Die Frau, deren beste Freundin mit deinem Onkel zusammen ist«, antwortete sie darauf.
» Na dann«, sagte Benedict nach kurzer Stille, » ist ja alles klar.«
Aishe hatte sich daran gewöhnt, die Abende allein zu verbringen. Nach dem Essen, wenn Benedict gegangen war, verzog sich Gulliver in sein Zimmer, um das zu tun, was er dort oben eben so tun mochte. Einmal hatte die Neugier, die sie in elterliche Fürsorge für sich umgedeutet hatte, sie dazu getrieben, ohne anzuklopfen in sein Zimmer zu platzen. Da hatte Gulliver auf dem Bett gelegen und ein Alex-Ryder-Buch gelesen. Aishe war eigentümlicherweise enttäuscht gewesen. Wenn ich in seinem Alter solche Möglichkeiten wie soziale Netzwerke, SMS und Online-Shopping gehabt hätte, hätte das sicher jede Menge Probleme– und Schulden– gegeben, dachte sie. Nein, stimmt nicht, korrigierte
Weitere Kostenlose Bücher