Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence
Virginia und ihresgleichen hätten sich lieber die Augen mit glühenden Schürhaken ausgestochen, als sich schlecht zu benehmen. Ich habe mal mit angesehen, wie Virginia sich mit jemandem unterhielt, den sie verabscheute: Ihr Gesicht war zu einer Fratze der Höflichkeit erstarrt, und zwischen zusammengebissenen Zähnen hat sie eine diplomatische Floskel nach der andern rausgequetscht. Ehrlich gesagt, hab ich ihre Selbstbeherrschung bewundert.«
» Wie geht’s Gin-Gin denn, auch wenn ich vom Thema abweiche?«
» O Gott.« Mo verbarg das Gesicht in ihren Händen. » Frag nicht! Allein beim Gedanken daran könnte ich Amok laufen.«
» Gegen Virginia?«, fragte Darrell gespannt.
» Nein! Gegen ihren verdammten Sohn! Meinen rückgratlosen, sich allen Verpflichtungen entziehenden Scheiß-Ehemann!«
» Ach, du Arme! Sag nicht, er hätte dich gezwungen, die Einladung zu Lowells Geburtstag abzusagen?«
» Gezwungen hat er mich nicht«, erwiderte Mo grimmig. » Aber als Lowell mich anrief und direkt fragte, konnte ich kaum Ausflüchte machen.«
» Du Ärmste«, wiederholte Darrell. » Wie hat er’s aufgenommen?«
» Ziemlich gut. Das ist ja das Grässliche! Ich hab dir doch schon von Chads Dad erzählt, oder? Er ist wie Zeus, gespielt von Brian Blessed oder Rip Torn. Riesig, dröhnende Stimme, mit einem Schulterschlag, der dir das Essen aus dem Mund fliegen lässt. Ein Mann, der kein ›Nein‹ akzeptiert, weil ›nein‹ in seinem Bewusstsein nicht mal existiert.«
» Deftig«, schlug Darrell vor.
» Das trifft es«, bestätigte Mo. » Und vital. Lowell war die personifizierte Vitalität. Darüber hat er auch ständig geredet. Er war davon überzeugt, seine Unverwüstlichkeit dynamischen Kraftübungen und einer ekelhaften Kombination aus Leinsamen-, Sonnenblumen- und Mandelöl zu verdanken. Ständig hat er versucht, alle Welt dazu zu bekehren.«
» Ich dachte, ihr solltet die Nüsse und Samen essen, aber nicht das Öl trinken?«
» Samen! Samen sind was für Schlappschwänze«, erwiderte Mo. » Aber wir können wohl dankbar sein, dass er nicht versucht hat, uns Rizinusöl einzuflößen.«
» Das muss ein Schock für ihn gewesen sein«, bemerkte Darrell. » Der Schlaganfall, meine ich. Wahrscheinlich hielt er sich für unsterblich.«
» Als ich ihm sagte, wir könnten nicht zu seinem Geburtstag kommen«, sagte Mo mit gedämpfter Stimme, » meinte er, er würde verstehen, dass Chad zu viel zu tun hätte…« Darrell sah, wie ihre Freundin sich müde durchs Haar fuhr. » Er protestierte nicht und machte auch keinen Aufstand«, fuhr Mo fort. » Er klang nicht mal wie er selbst– sondern eher wie ein alter Mann: zittrig und jämmerlich. So hat er noch nie geklungen.«
» Aber er ist fast siebzig«, sagte Darrell. » So gesehen ist er alt.«
Mo schien nicht zuzuhören. » Ich hab’s Chad erzählt«, fuhr sie fort. » Hab ihm gesagt, er müsste ihn anrufen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob er es schon gemacht hat…«
» Was meinst du, was ist los mit Chad?«, fragte Darrell. » Früher war er doch der Inbegriff des treu sorgenden Sohns.«
» Ich weiß es nicht«, antwortete Mo kopfschüttelnd. » Aber ich sag dir was.« Sie presste die Lippen zusammen. » Langsam bin ich so weit, dass es mir am Arsch vorbeigeht.«
» Findest du mich dick?«
Chads Gabel mit einem Stück Waffel darauf verharrte kurz vor dem Mund. Sein ganzer Körper erstarrte vor Wachsamkeit.
» Ne-ein?«
» Bin ich aber.« Seine Frau lehnte sich zurück und starrte ihn finster an. » Scheiße. Früher war ich nie dick.«
Sie lehnte sich wieder vor. » Ich will zwar nicht so dünn werden wie diese blondgefärbten Hungerhaken, schließlich hab ich schon Hühnchenknochen weggeworfen, an denen mehr Fleisch war. Aber, guck mal…« Sie drehte sich zur Seite, damit Chad sehen konnte, wie sie einen kleinen Wulst von ihrem Bauch abkniff. » So was hatte ich früher nie. Selbst nach Harry, der riesig war, hatte ich sechs Monate später wieder mein Normalgewicht.«
» Du bist kaum…«
» Weißt du, dass ich beim Arzt war? Bevor wir hergezogen sind. Ich sagte ihm, dass irgendwas mit meinen Drüsen nicht stimmt, weil ich die Schwangerschaftspfunde nicht loswerde. Weißt du, was er geantwortet hat?«
Chad schüttelte den Kopf.
» Er sagte: ›Vielleicht ist es mal an der Zeit für ein bisschen Bewegung.‹ Bewegung! Was glaubt der eigentlich, was ich den ganzen Tag mache? Im Negligé rumliegen und belgische Pralinen naschen? Hat der je versucht,
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