Das Niebelungenlied
gewiß, ich werde ihn gesund an den Rhein zurückbringen.« Kriemhilt verbeugte sich vor ihm zum Dank. Man trug ihnen die goldenen Schilde ans Ufer und brachte ihnen die Gewänder, die Pferde wurden herangeführt: nun wollten sie fort. Die schönen Frauen weinten, die Mädchen standen an den Fenstern. Ein starker Wind ließ das Segel flattern. Sie bestiegen das Schiff. »Wer soll unser Steuermann sein?« fragte König Gunther. – »Ich kann Euch auf dem Wasser den richtigen Weg führen«, sagte Sîfrit. »Die Wasserstraßen sind mir vertraut.« Heiteren Mutes verließen sie Burgund. Sîfrit ergriff eine Ruderstange und stieß das Schiff kräftig vom Ufer ab, ebenso tat Gunther mit einem Ruder, und sie setzten sich in Bewegung.
Sie hatten auserlesene Speisen bei sich und den besten Wein, der am Rhein zu finden war. Ihre Pferde waren sicher und bequem untergebracht. Das Schiff zog ebenmäßig dahin, nichts stieß ihnen zu. Ein guter Wind streckte die starken Segelleinen; sie fuhren zwanzig Meilen stromabwärts, bevor es Nacht wurde. Ihre großen Anstrengungen sollten ihnen noch Unheil bringen. Am zwölften Morgen – so wird erzählt – hatten die Winde sie weithin getragen zum Isenstein in Prünhilts Reich, das niemand von ihnen kannte als Sîfrit. Als König Gunther die vielen Burgen sah und das weite Land, fragte er Sîfrit, wem sie gehörten, und Sîfrit antwortete: »Das weiß ich wohl. Das Land und das Volk und die Festung Isenstein gehören Prünhilt, wie ich Euch erzählt habe. In diesem Land gibt es schöne Frauen. Und ich will Euch raten: Seid einmütig und widersprecht Euch nicht in Euren Worten, wenn wir heute noch vor Prünhilt treten.Wir müssen ihr mit Vorsicht begegnen. Wenn wir vor ihr und ihrem Gefolge stehen, so sollt Ihr alle sagen, Gunther sei mein Herr und ich ihm dienstbar. Wenn Ihr meinem Rat folgt, so wird seine Hoffnung erfüllt werden.« Sie waren dazu bereit und versäumten nicht aus Übermut, was sie sagen sollten. Das sollte ihnen vor Prünhilt zum Guten ausschlagen.
»Ich verspreche es nicht so sehr deinetwegen als um deiner Schwester willen. Das schöne Mädchen ist mir so teuer wie meine Seele und mein Leben. Ich will hier keine Mühe scheuen, damit sie meine Frau wird.«
7 . WIE GUNTHER PRÜNHILT EROBERTE
Inzwischen war ihr Schiff der Burg so nahe gekommen, daß König Gunther oben an den Fenstern viele schöne Mädchen stehen sah, und es tat ihm leid, daß er keine von ihnen kannte. Er fragte Sîfrit: »Kennst du diese Mädchen, die dort zu uns auf das Wasser niederblicken? Wer auch ihr Herr sein mag, sie sind sehr stolz.« Sîfrit antwortete ihm: »Seht Euch heimlich um unter den Jungfrauen, und dann sagt mir, welche Ihr nehmen würdet, wenn es in Eurer Macht stünde.« – »Ich sehe eine am Fenster stehen«, sagte Gunther, »die trägt ein schneeweißes Kleid. Sie ist so wohlgeschaffen, daß meine Augen sie ihrer Schönheit wegen wählen. Wenn es bei mir läge, sollte sie meine Frau werden.« – »Du hast dir die Richtige ausgesucht. Das ist Prünhilt, nach der es dich verlangt.« Gunther war von jeder ihrer Bewegungen entzückt.
Die Königin schickte ihre Mädchen von den Fenstern weg; sie sollten nicht dastehen zum Anblick für die Unbekannten. Sie schmückten sich für die Fremden, wie es schöneFrauen seit je getan hatten, und stellten sich an die schmalen Scharten, wo sie die Ritter beobachten konnten – so neugierig waren sie. Es waren nur vier Ankömmlinge. Der kühne Sîfrit führte ein Pferd auf das Ufer, und die schönen Frauen an den Fenstern sahen das; davon fühlte König Gunther sich erhoben. Sîfrit hielt ihm auch das schöne, kräftige Pferd am Zaum, bis Gunther sich in den Sattel gesetzt hatte. So diente Sîfrit ihm; wofür ihm Gunther später doch so übel lohnte. Dann holte er auch sein Pferd vom Schiff. Kaum jemals vorher hatte er für einen Ritter neben dem Steigbügel gestanden, und die Frauen hatten es gesehen. Beider Ritter Kleider und Pferde waren gleichermaßen weiß wie Schnee. Die Schilde leuchteten den ansehnlichen Männern an den Händen. Ihre Sättel waren mit Edelsteinen besetzt. An den schmalen Brustriemen der Pferde hingen Glocken aus strahlendem rotem Gold. So ritten sie dem Königssaal Prünhilts fürstlich entgegen. Wie es ihrer Stärke zukam, führten sie neugeschliffene Speere und scharfe breite Schwerter mit sich, die ihnen bis an die Sporen reichten. Hinter ihnen kamen Dancwart und Hagen, die rabenschwarz gekleidet waren. Sie trugen
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