Das Niebelungenlied
indische Edelsteine auf dem kostbaren Stoff, die sich funkelnd bewegten. Sie ließen ihr Schiff ohne Aufsicht am Meer liegen und ritten zur Stadt. Darin sahen sie sechsundachtzig Türme stehen und drei weiße Paläste und den prächtigen Saal aus grasgrünem Marmor, in dem Prünhilt mit ihrem Gesinde sich aufhielt. Die Tore wurden aufgeschlossen und weit geöffnet. Prünhilts Männer liefen den Gästen entgegen und empfingen sie im Land ihrer Königin. Man wollte ihnen die Pferde und die Schilde zur Aufbewahrung aus der Hand nehmen, ein Kämmerer sagte: »Ihr sollt uns Schwert und Panzer geben.« Aber Hagen verweigerte dies, bis Sîfrit ihn belehrte: »In diesem Lande ist es Gewohnheit, daß keinGast Waffen trägt. Laßt sie forttragen, das ist so richtig.« Hagen gehorchte ungern. Den Gästen wurde der Willkommenstrunk gereicht und die Unterkunft bereitet. Überall am Hof waren Ritter in vornehmer Tracht zu sehen, aber dennoch wurden die Fremden angestarrt. Nun wurde Prünhilt gemeldet, daß unbekannte Ritter in herrlicher Kleidung zu Wasser angekommen wären. Sie fragte nach ihren Namen und um wessentwillen sie gekommen seien. Einer der Hofleute sagte: »Königin, ich habe keinen von ihnen vorher gesehen, außer daß einer unter ihnen ist, der Sîfrit gleicht. Ich rate Euch aufrichtig, ihn freundlich zu begrüßen. Der andere von ihnen ist so stattlich und steht so herrisch da, daß er wohl ein König über weite Gebiete sein kann. Der dritte, Königin, ist auch wohlgefällig anzusehen, aber er scheint sehr grimmig und wild, den heftigen Blicken nach, die er um sich wirft. Der Jüngste bietet einen gewinnenden Anblick, ich habe ihn voll jugendlichen Anstands und mit wohlerzogener Gelassenheit gesehen. Es wäre schade, wenn ihm hier etwas zustieße. So freundlich aber sein Wesen und so schön er anzusehen ist, kann er doch viele Frauen unglücklich machen, wenn er einmal zürnt.« Da sagte die Königin: »Bringt mir mein Festgewand. Wenn der starke Sîfrit um meiner Liebe willen ins Land gekommen ist, so soll es ihm ans Leben gehen. Ich fürchte ihn nicht so sehr, daß ich seine Frau werde.«
Die Königin wurde mit aller Pracht gekleidet, und mit ihr gingen wohl hundert oder noch mehr schöne Mädchen in allem Schmuck, die die Gäste sehen wollten. Sie wurden von fünfhundert oder mehr isländischen Männern begleitet, die das Schwert in der Hand hielten. Die Gäste waren beunruhigt. Sie erhoben sich von den Sitzen. Die Königin trat vor Sîfrit und sagte: »Seid willkommen in meinem Land, Sîfrit. Ich wüßte gerne, was Eure Reise bedeutet?« –»Ihr erweist mir zu viel Ehre, Königin Prünhilt, wenn Ihr mich zu grüßen geruht. Ich will gern zugunsten des edlen Ritters, der hier vor mir steht – da er mein Herr ist –, auf diese Gnade verzichten. Was soll ich mehr sagen? Er kommt vom Rhein, und wir sind um deinetwillen hierhergefahren. Er will deine Liebe besitzen, was ihm darum auch widerfahren mag. Bedenke dich rechtzeitig, denn mein Herr wird nicht zurücktreten. Er heißt Gunther und ist ein großer König. Wenn er deine Liebe gewänne, wären ihm alle Wünsche erfüllt. Er hat mir befohlen, hierherzureisen, aber hätte ich mich weigern dürfen, hätte ich es gerne gelassen.« Sie sagte: »Ist er dein Herr, und bist du sein Knecht, so werde ich seine Frau, wenn er sich an die Kampfspiele wagt, die ich vorschlagen werde, und wenn er darin die Meisterschaft behauptet. Kommt es aber so, daß ich gewinne, habt ihr alle das Leben verloren.« Hagen von Tronege warf ein: »Königin, zeigt uns Eure starken Spiele. Ehe mein Herr Gunther sich für besiegt erklärt, muß es schlimm gekommen sein. Er wird sich wohl zutrauen, eine so schöne Frau zu gewinnen.« – »Er soll den Stein werfen und ihm nachspringen. Er soll mit mir den Speer werfen. Übereilt Euch nicht. Ihr könnt hier nicht nur das Leben, sondern auch die Ehre verlieren, laßt Euch das gründlich durch den Kopf gehen«, sagte die Stolze. Sîfrit trat zu Gunther und bat ihn, ihr seine ganze und feste Absicht zu erklären; er solle nichts fürchten. »Ich will Euch wohl vor ihr beschützen mit meinen Künsten.« Nun sprach Gunther: »Hohe Königin, sagt, was Ihr befehlt. Auch wenn es noch mehr wäre: um Eurer Schönheit willen werde ich alles bestehen. Ich will meinen Kopf verlieren, wenn Ihr nicht meine Frau werdet.« Als die Königin ihn hatte reden hören, befahl sie die Spiele so eilig vorzubereiten, wie es den Umständen entsprach. Sie ließ ihren
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