Das Niebelungenlied
sie seien von Liudegêr geschickt, den Sîfrit früher bezwungen und als Geisel nach Burgund gebracht hatte. Gunther habe viele Feinde. Liudegêr und Liudegast wollten Gunthers Land überfallen. Der König gebärdete sich zornig und verabschiedete die falschen Boten. Wie hätte sich Sîfrit vor dem schützen sollen, was da vorbereitet wurde! Freilich wurde es den Verrätern am Ende selbst zum Verhängnis. Man sah nun den König mit seinen Vertrauten in heimlicher Beratung. Hagen von Tronege ließ ihm keine Ruhe. Noch hätten die anderen Ratgeber es gütlich beigelegt, aber Hagen ging nicht von seinem Plan ab.
Sîfrit traf sie eines Tages bei einer Beratung und fragte, warum der König so sorgenvoll sei. Als er von der Kriegserklärung Liudegêrs erfahren hatte, sagte er: »Ich werdesie behandeln wie damals. Ihr Land und ihre Burgen werde ich verwüsten, dafür verpfände ich Euch mein Haupt. Bleibt Ihr zu Hause, ich will mit Euren Kriegern zu ihnen reiten. Ich werde Euch beweisen, daß ich Euch gern diene.« Der König tat, als sei er wirklich froh über die Hilfe. Verlogen und ehrlos verneigte er sich, und Sîfrit sagte: »Ihr sollt unbesorgt sein.«
Die Burgunden bereiteten den Troß für die Reise vor, um Sîfrit und die Seinen zu täuschen. Der ließ seine Krieger die Ausrüstungen bereitmachen. Seinen Vater Sigemunt bat er, in Worms zu bleiben. »Wenn Gott es gibt, werden wir in kurzer Zeit zurück sein.« Die Burgunden hißten die Feldzeichen, als ob sie aufbrechen wollten. Viele Krieger Gunthers wußten nicht, wie es dazu gekommen war. Sîfrits Kriegsvolk war sehr zahlreich, sie banden die Helme und Harnische auf die Pferde. Da ging Hagen von Tronege zu Kriemhilt und bat, sich für die Heerfahrt verabschieden zu dürfen.
»Wie froh bin ich«, sagte Kriemhilt, »daß ich einen Mann habe, der meine Freunde so schützen kann, wie Sîfrit es tut. Lieber Freund Hagen, erinnert Euch, daß ich Euch gern gefällig bin und daß wir uns nie überworfen haben. Laßt es meinem Mann zugute kommen. Er soll nicht entgelten, was ich etwa Prünhilt angetan habe. Ich habe es bereut, und er hat mich so verprügelt. Daß ich sie gekränkt habe, hat er vollauf gerächt.«
»Ihr werdet Euch gewiß bald versöhnen«, sagte Hagen. »Kriemhilt, verehrte Königin, sagt mir doch, was ich für Sîfrit tun kann. Ich bin gern dazu bereit und möchte es keinem anderen überlassen.« – »Ich wäre ohne alle Sorge, daß er im Sturm fallen könnte, wenn er nur nicht seiner Tollkühnheit folgen würde. Dann wäre er niemals gefährdet.« – »Königin«, sagte Hagen, »wenn Ihr fürchtet, daß er verwundet werden könnte, so sagt mir, wie ich es verhindern kann.Ich will bei jedem Kampf, zu Fuß und zu Pferde, auf seinen Schutz bedacht sein.« Sie sagte: »Du bist mit mir verwandt und ich mit dir. Ich befehle dir meinen Mann in vollem Vertrauen an, daß du ihn mir gut behütest.« Und sie erzählte ihm, wie es sich verhielt. »Als er den Drachen am Berg tötete, badete er sich in dessen Blut, und darum kann ihn seither keine Waffe verletzen. Aber ich bin immer in großer Angst, ich könnte ihn verlieren, wenn er im Kampf steht und die Speere fliegen. Ich will dir sagen, wo man ihn verletzen kann. Ich vertraue auf deine Verschwiegenheit und hoffe, daß du mir die Treue halten wirst. Als dem Drachen das Blut aus den Wunden floß und Sîfrit sich darin badete, hat sich ein großes Lindenblatt zwischen seine Schulterblätter gesetzt. Ich habe große Angst, daß ihn an dieser Stelle der Todesstoß treffen könnte.« Hagen sagte: »Näht doch auf seinen Rock ein kleines Zeichen, damit ich weiß, wo ich ihn schützen muß im Sturm.« Sie hoffte den Helden zu retten und diente seinem Tode. Sie versprach, mit feiner Seide ein unauffälliges Kreuz auf Sîfrits Rock zu nähen. Hagen sagte ihr nochmals seinen Beistand zu. So wurde Sîfrit verraten durch Kriemhilts guten Glauben. Hagen verabschiedete sich und ging zufrieden von dannen. Ich glaube: nie wieder wird ein Ritter solchen Verrat begehen wie jener, auf den Kriemhilt sich verließ.
Der Hof war in bester Stimmung. Am anderen Morgen ritt Sîfrit mit tausend Kriegern wohlgemut aus, im Glauben, für seine Freunde zu kämpfen. Hagen ritt so nahe neben ihm, daß er seine Kleidung genau betrachten konnte. Als er das Zeichen gesehen hatte, schickte er heimlich zwei von seinen Männern als Boten aus, die sagten: Liudegêr habe sie geschickt, und Burgund solle in Frieden bleiben. Wie ungern ritt
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