Das Niebelungenlied
Die Königin war in Stücke gehauen.
Dietrîch und Etzel weinten. Die Gefolgschaft war unglücklich. Die ganze große Herrlichkeit war zerstört. Alle trauerten. Mit Leid war das Fest des Königs zu Ende gegangen, wie alle Freude zu Leid wird am Ende.
Ich kann euch nicht erzählen, was seither geschah. Nur dies: Die Ritter und Damen wie die Knechte beweinten den Tod ihrer Lieben. Hier endet die Erzählung: Das ist die Geschichte der Nibelungen.
NACHWORT
Die Forschungen zum Nibelungenlied haben die Vermutung ergeben, es sei um das Jahr 1200 am Hof des Bischofs von Passau von einem Österreicher geschrieben worden. Die Person des Dichters ist unbekannt; sogar ob er ein Spielmann, also ein fahrender Sänger, war oder zum niederen Adel gehörte, ist ungewiß. Sein Werk war eine der beliebtesten Vorlesedichtungen im 13. Jahrhundert, an die drei Dutzend erhaltene Handschriften (Abschriften und Bearbeitungen) aus einer Zeit ohne Buchdruck bezeugen ihre Aktualität und Bedeutung für die Kultur des frühen deutschen Mittelalters. Man nennt das Nibelungenlied im Unterschied zu den höfischen Epen dieser Zeit ein Heldenepos. Denn die Versromane der drei großen Dichter Hartmann von Aue, Gotfrit von Straßburg und Wolfram von Eschenbach, die in ihren Werken den Begriff der ritterlichen Pflicht, die höfische Bildung in ihrer letzten sittlichen Konsequenz und überhaupt das Weltverhältnis des höfischen Menschen, die Stellung des Ritters zwischen Welt und Gott, vorführen und erheben, benutzen Motive und Stoffkreise vorwiegend französischer und keltischer Herkunft und prägen den Geist des Rittertums in einer zeitgenössischen übernationalen Form aus; das Nibelungenlied jedoch, dessen Stoff aus germanischen Heldensagen überkommen war, verband die kultivierteste ritterliche Lebensform, die höfische, im Material wieder mit den Urformen des germanischen Gefolgschaftslebens und seiner sittlichen Bindungen: Diese Dichtung hatte also eine nationale Tradition und Bedeutung und ist daher kaum aus der politischen und kulturellen Situation des angenommenen Jahres 1200 allein zu verstehen. Ihr Stoff wurde auf dem Weg durch sechs Jahrhundertemehrere Male entscheidend umgeprägt. Seine Geschichte kann hier natürlich nur in den Hauptsachen und beispielsweise angedeutet und umrissen werden. Dies um so mehr, als wir für die Dichtungen vor dem 13. Jahrhundert nur Vermutungen und Annahmen aufstellen können, denn sie sind nicht als Handschriften erhalten. Wir sehen sie nur gespiegelt in den Liedern der isländischen Edda von Sigurd und Atli und in der Prosaerzählung der Thidrekssaga, die schließlich die ganze Nibelungengeschichte aufgenommen hat, weil Dietrich von Bern eine Rolle in ihr spielt. An den wichtigsten Umwandlungen der Fabel mag sich ersehen lassen, daß in die Dichtung von 1200 verschiedene Zeitgeschichten eingegangen sind, die ihren künstlerischen und ideologischen Zustand wesentlich bestimmen. Es waren zwei verschiedene Sagen, die etwa vom 6. Jahrhundert an nebeneinander überliefert wurden, erst der letzte Dichter vereinigte sie vollständig zu einer Erzählung. Zwar ist der Stoff des Nibelungenliedes allenthalben mit fabelhaften und mythologischen Elementen durchsetzt, in den hauptsächlichen Anlässen jedoch geht er zurück auf tatsächliche, geschichtliche Ereignisse, die, von der Phantasie ausgestattet, gedeutet und weitergesponnen, in schließlich gänzlich veränderter Form Kulturgut wurden: hier als Siegfried- und Burgundensage.
Am deutlichsten sind die märchenhaften Bestandteile in der Siegfriedsage, in den Abenteuern des jungen Siegfried und in der frühen Brünhildgestalt. Es gibt Andeutungen über eine Königin Brünhild; von Siegfried wissen die Chronisten nichts. Es läßt sich aber vermuten, daß ein merowingischer Königssohn ähnlichen Namens im 3. oder 4. Jahrhundert eine Burgundin geheiratet hat. Und vielleicht wurde er ermordet, weil sein Einfluß am burgundischen Hof überhandnahm; Hagen wäre dann etwa als Haupt einer nationalburgundischen Verschwörung anzusehen. Dies wären ungefährdie tatsächlichen Ansätze für das erste Brünhildenlied, das im 5./6. Jahrhundert bei den Rheinfranken entstand, ein kurzes Gedicht, in stabreimenden Langzeilen: Brünhild sitzt auf einem von Flammen umloderten Felsen, Siegfried springt für Günther durchs Feuer, liegt auch in der Brautnacht neben Brünhild, es ist aber ein Schwert zwischen ihnen; der Streit der Königinnen entzündet sich beim Baden im Rhein
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