Das Niebelungenlied
den Kopf spritzte. Gîselher empfing ihn mit schnellen schweren Schlägen, und so stark Wolfhart auch war, hier konnte er nicht davonkommen. Gîselher traf ihn durch den Harnisch hindurch, daß das Blut strömte, er verwundete ihn zu Tode, was kein anderer vermocht hatte. Da ließ Wolfhart den Schild fallen, er schwang sein starkes scharfes Schwert hoch empor und schlug Gîselher durch Helm und Harnisch. Sie hatten einander den Tod bereitet.
Nun lebte von Dietrîchs Männern weiter keiner mehr. Der alte Hildebrant sah Wolfhart fallen. Ich glaube, ein solches Unheil ist ihm im ganzen Leben nicht begegnet. Auch Gunthers Männer waren alle tot. Hildebrant war zu Wolfharts Leiche gegangen und nahm ihn auf die Arme. Er wollte ihn aus dem Haus tragen, aber er war ihm zu schwer, und so mußte er ihn liegenlassen. Da schlug der Sterbende die blutüberströmten Augen auf. Er sah, daß Hildebrant ihn forttragen wollte, und sagte: »Lieber Oheim, Ihr könnt mir nicht mehr helfen. Hütet Euch vor Hagen, das ist wichtiger, denn er ist verbittert. Und wenn meine Verwandten meinen Tod beklagen wollen, so sagt ihnen von mir, sie sollen nicht um mich weinen; es ist nicht nötig, denn ich habe einen ehrenvollen Tod durch einen König gefunden. Und ich habe mein Leben in diesem Saal gerächt, daß die Frauen der Ritter darüber weinen werden. Wenn Euch einer fragt, so könnt Ihr freiweg sagen: Ich allein habe hundert umgebracht.«
Da dachte Hagen wieder an den Spielmann, den Hildebrant ums Leben gebracht hatte, und er sagte: »Ihr werdet für meinen Verlust einstehen. Ihr habt uns viele gute Ritter geraubt.« Er schlug auf Hildebrant ein, und man hörte das Schwert Balmunc erschallen, das Hagen Sîfrit weggenommen hatte, als er ihn ermordete. Der Alte wehrte sich unerschrocken.Er schwang sein breites scharfes Schwert gegen Hagen, er konnte ihn nicht verwunden, aber Hagen verletzte ihn. Da fürchtete Hildebrant noch mehr Schaden; er warf den Schild über den Rücken und entkam Hagen mit einer schweren Wunde.
Niemand von den Burgunden außer Gunther und Hagen lebte noch. Hildebrant ging blutüberströmt zu Dietrîch. Er hatte schlimme Nachrichten für ihn. Dietrîch saß traurig da, und als er Hildebrant in seinem roten Harnisch erblickte, fragte er besorgt: »Meister Hildebrant, warum seid Ihr so naß von Blut? Wer war das? Ich fürchte, Ihr habt mit den Fremden im Saal gekämpft. Ich habe es so streng verboten, Ihr hättet es vermeiden müssen.« Hildebrant sagte: »Es war Hagen. Der hat mir diese Wunde beigebracht, als ich von ihm fortwollte. Ich bin diesem Teufel kaum lebend entkommen.« Da sagte Dietrîch: »Euch ist ganz recht geschehen. Ihr habt den Frieden gebrochen, den ich Ihnen zugesichert habe. Wenn es mir nicht ewige Schande brächte, solltet Ihr sterben dafür.« – »Zürnt nicht so sehr, mein Herr. Das Unglück ist allzu groß. Wir wollten Rüedegêr wegtragen, und die Burgunden wollten es nicht zulassen.« – »Weh mir! Rüedegêr ist tot! Das ist für mich der allergrößte Schmerz. Gotelint ist mit mir verwandt. Die armen Waisen in Pöchlarn.« Rüedegêrs Tod erinnerte ihn an dessen Treue und das gemeinsame Elend der Verbannung. »Ich habe eine treue Hilfe verloren. Ich werde es nie verwinden. Könnt Ihr mir sagen, Meister Hildebrant, wer es ist, der ihn getötet hat?« Hildebrant sagte, das habe Gêrnôt getan, er selbst sei durch Rüedegêr auch ums Leben gekommen. Dietrîch befahl, daß seine Männer sich waffnen sollten, seine Rüstung solle ihm gebracht werden. Er wolle selbst hingehen und die Burgunden zur Rede stellen. Hildebrant sagte: »Wer soll Euch begleiten? Was noch lebt von Euren Männern,steht vor Euch: Ich allein bin es. Die anderen sind tot.« Dietrîch erschrak. Ein solcher Schlag hatte ihn noch nie getroffen. Er sagte: »Gott hat mich vergessen. Nun bin ich der arme Dietrîch. Einst war ich ein mächtiger und reicher König. Wie hat es dazu kommen können, daß alle den Tod gefunden haben durch die erschöpften Burgunden, die doch so Schweres durchgemacht haben? Wenn nicht Unheil von mir ausginge, müßten sie noch am Leben sein. Mein Schicksal wollte es nicht anders. Sagt, lebt noch jemand von den Burgunden?« – »Niemand weiter als Gunther und Hagen«, sagte Hildebrant.
»Wehe, lieber Wolfhart, daß ich dich verloren habe. Ich möchte nie geboren sein. Sigestap, Wolfwîn, Wolfprant! Wer soll mir nun helfen, zurückzukehren in das Land der Amelungen? Helpfrîch ist tot, Gerbart und Wîchart
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