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Das Nilpferd

Das Nilpferd

Titel: Das Nilpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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allesamt noch genährt, was grotesk und unverantwortlich und, glaube ich, enorm gefährlich ist. Daveys Hysterie ist stetig gewachsen und hat den gesamten Haushalt befallen.«
    Ich nahm einen gigantischen Zug aus meinem Glas Bordeaux.
    Natürlich war es Oliver, der das Schweigen durchbrach. Er starrte mich ungläubig an. »Wie kannst du so dasitzen und all das sagen? Wir wissen, was wir gesehen haben.«
    »Nein, eben nicht«, sagte ich. »Ihr habt nicht die geringste Ahnung, was ihr gesehen habt. Glaubt mir, wenn ich das sage. David ist keineswegs von irgendwelchen außergewöhnlichen Kräften besessen. Es liegt nichts Wunderbares in dem, was er tun kann oder getan hat. Er ist ein sehr, sehr, sehr gewöhnliches Kind mit einer mehr als gewöhnlichen Portion von, wie gesagt, Stolz und Sensibilität …«
    Vor der Tür erklang ein Geräusch, und erneut versteinerten wir alle schweigend.
    Die Tür rührte sich nicht.
    »Herein!« rief Michael.
    Noch immer keine Reaktion. Nervös schnalzend schritt Michael zur Tür und öffnete sie. Der Korridor war leer. Michael schaute nach rechts und links.
    »Du meine Güte«, sagte Anne, »glaubst du, Podmore hat gelauscht?«
    »Wahrscheinlich bloß der Wind«, sagte Michael, schloß die Tür und kehrte an die Tafel zurück. »Der nächste Sturm ist im Anmarsch.«
    Es stimmte, der Wind hatte an den Fenstern und Rauchfängen zu heulen begonnen.
    »Mach weiter, Ted«, sagte Oliver, bösartig knurrend. »Ich glaube, du sagtest gerade, wir seien alle sehr verantwortungslos und grotesk, und Davey sei ein sehr, sehr, sehr gewöhnliches Kind.«
    »Ein sehr gewöhnliches Kind, das viel Güte und Verständnis braucht, wenn es nicht in hysterisches Chaos abgleiten soll«, sagte ich.
    »Aber du bestehst doch nur aus Widersprüchen«, sagte Max. »Eben erst hast du zugegeben, daß die Kräfte von Michaels Vater vererbt worden sein können, und jetzt sagst du, es gibt keine solchen Kräfte.«
    »Ich habe nichts dergleichen gesagt.«
    »Er ist betrunken«, sagte Patricia. »Wenn jemand Güte und Verständnis braucht, bist du das, Ted.«
    »Sicher, ich brauche meinen Teil«, sagte ich.
    »Wir können alle vom Sessel aus Psychiater spielen, oder, Ted?« sagte Rebecca. »Wir könnten beispielsweise den Verstand des alternden Poeten untersuchen.«
    »Genau«, sagte Oliver, »der Mann, der glaubt, Spiritualität sei sein Bereich und nur seiner. Der Mann, der glaubt, ein Blick auf Kunst und das Unendliche werde nur arschbehaarten Griesgramen zuteil, die Hochprozentiges trinken und Ezra Pound verstehen. Der Mann, der so schwer um seine eigene Lyrik kämpft, daß er eine Theorie entwickelt hat, die anderen die Möglichkeit der Inspiration abspricht. ›Wenn ich mich schwitzend und schuftend durch den Schlamm quälen muß, dann muß es wahr sein, daß es jedem anderen auf Erden genauso geht.‹ Das ist deine große Philosophie, nicht wahr? Beim Anblick eines Kindes, das als Gratisgabe Gottes die Gnade erlangt hat, könntest du glatt ersticken, was?«
    »Ihr haltet mich vielleicht für sehr undankbar«, sagte ich. »Aber ihr müßt …«
    »Undankbar, Liebling? Warum sollten wir das denn wohl denken? Deine eigene Inspiration ist vor Jahren vertrocknet, und seitdem hast du auf faulen Kredit gelebt. Da du selbst ein häßlicher alter Betrüger bist, muß alles Schöne oder Authentische verspottet und zurückgewiesen werden. Undankbar? Herrgott, nein.«
    »Lassen wir den Charakter vorläufig mal aus dem Spiel«, sagte Max mit der Knappheit des Sitzungssaals, »und konzentrieren wir uns auf die Tatsachen. Streitest du ab, Ted, daß Edwards Leben errettet wurde?«
    »Nein«, sagte ich. »Ich muß gestehen, daß ich das nicht abstreiten kann.«
    »Und Lilac?« sagte Oliver. »Und Jane? Und ich? Und Clara? Kannst du’s bei uns abstreiten? Sieh dir doch an, was vor deiner großen fetten Nase liegt, Mann!«
    »Es reicht, Oliver, beruhige dich«, sagte Michael. »Laß uns das klarstellen, Ted. Willst du mit alldem sagen, daß mein Sohn keinerlei Kräfte irgendwelcher Art hat?«
    »Nein!«
, schrie ich. »Nein, das will ich
nicht
sagen! Ich finde, er ist ein bemerkenswerter und wunderbarer Junge. Ich finde, er ist auf seine Weise ein Wunder. Nicht durch Magie, aber ungewöhnlich genug, um in dieser Welt als ein Wunder zu gelten. Ich finde, er hat Kräfte, die zugleich selten und wunderschön sind.«
    »Ich werde wahnsinnig!« sagte Patricia und faßte sich an den Kopf. »Vor einer Minute hast du gesagt: ›David ist

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