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Das Nilpferd

Das Nilpferd

Titel: Das Nilpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Entschuldigung, Lady Anne. Da ist ein Anruf für Lord Logan in seinem Arbeitszimmer.«
    Der Verdruß an der Tafel war kolossal. Ich war erleichtert. Die Ablenkung verschaffte mir ein paar Minuten, um mich zu sammeln und die Gedanken, die ich vorzubringen gedachte, in eine schlüssige Abfolge zu bringen. Hätte ich ein Blatt Papier und einen Bleistift gehabt, hätte ich mir wahrscheinlich Stichworte notiert. Analfixierter alter Ted.
    Michael stand auf. »Mist«, sagte er. »Tut mir leid. Wenn er auf dem Anschluß im Arbeitszimmer durchgekommen ist, muß er aus Amerika kommen und dringend sein. Ich mach’s so kurz wie möglich. Warte bitte auf mich, Ted. Ich möchte kein Wort von dem verpassen, was du zu sagen hast.«
    Schweigend verbrachten wir drei spannungsgeladene Minuten. Ich trank noch ein Glas Wein, unter allseits vorwurfsvollen Blicken.
    Michael kehrte zurück und schloß die Tür hinter sich. »Entschuldigt«, sagte er und setzte sich wieder. »Ted, fahr bitte fort.«
    »Wo war ich stehengeblieben?«
    »O Herr, errette uns, jetzt ist er betrunken«, sagte Oliver. »Du, Teddybär, wolltest uns deine Expertenmeinung zu Davey aufbürden.«
    »Ganz recht«, sagte ich. »Also ich glaube, der Schlüssel ist folgender. David ist ein sensibler Junge und ein stolzer Junge.«
    Max lachte, und die anderen stimmten ein. Oliver schnaubte verächtlich.
    »Das ist alles, ja? ›David ist ein sensibler Junge und ein stolzer Junge.‹ Ende der Analyse. Ich glaube, wir haben genug gehört, Schatz. Wenn irgend jemand stolz und sensibel ist, dann Edward Wallace. Zu stolz und sensibel, das zu glauben, was nicht zu seinen plumpen Theorien paßt, oder zuzugeben, wenn selbst er einsehen muß, daß er sich geirrt hat.«
    »Schluß jetzt, Oliver!« sagte Michael mit solcher Wildheit, daß alle zusammenfuhren. »Ich will hören, was Ted zu sagen hat. Jetzt mehr denn je muß ich es hören. Ihr erfahrt noch, warum. Bis dahin seid einfach still.«
    Ich starrte ihn einigermaßen verblüfft an. Er blickte mit einem Ausdruck großer Aufgewühltheit und – ich glaube, das fiel mir damals schon auf – großer Furcht zurück. Im nachhinein wird deutlich, daß es auf jeden Fall Furcht gewesen sein muß. Zu jener Zeit verstand ich den Blick ganz und gar nicht.
    »Also«, sagte ich langsam, »wie gesagt, David ist stolz und sensibel. Er liebt Dichtung, und er liebt das Abstraktum, was er für die Natur hält. Er ist nicht ganz so intelligent, wie er es gerne wäre, aber wer von uns ist das schon? Er ist nicht unintelligent, versteht ihr, er ist intelligent genug, um Blicke auf kostbare und ernsthafte Ideen zu erhaschen und sich darüber schwarz zu ärgern, daß er nicht an sie herankommt. Da so vieles, das ihm am Herzen liegt, seinem intellektuellen Zugriff verborgen bleibt, stellt er sich vor, er könne mittels Intuition oder durch die Hilfe einer tieferen Instanz, etwa einem Naturgeist, zur Wahrheit der Dinge springen. Er kann es nicht fassen, daß Gott ihm die Empfindsamkeit zugestanden haben soll, für Schönheit und Ideen empfänglich zu sein, ohne ihn außerdemmit der geistigen Ausrüstung oder den künstlerischen Fähigkeiten auszustatten, aktiv an ihnen teilzuhaben. Ich glaube nicht, daß irgend etwas daran für einen Fünfzehnjährigen ungewöhnlich ist. Es wäre absonderlich und entsetzlich unangebracht, wenn David wirklich so intelligent und frühreif wäre, wie er es sich wünscht. Der Intellekt wächst ebenso wie jeder andere Teil von Geist und Körper. Dennoch unterscheidet Davey sich von den meisten Kindern, weil er so außergewöhnlich sensibel ist. Manche sensiblen Kinder leiden stillschweigend vor sich hin. David jedoch ist nicht nur außergewöhnlich sensibel, er ist auch außergewöhnlich stolz. Er haßt seine Unzulänglichkeit. Er kann sie nicht ertragen. Sie hat ihn zu unglücklicher und gefährlicher Hysterie getrieben. Manche stolze und sensible Kinder in vergleichbaren Situationen entwickeln die Fantasievorstellung, daß ihre Väter Millionäre sind. Daveys Vater ist schon einer, also wäre das kaum durchführbar. Andere stellen sich vor, sie seien Findelkinder oder Außerirdische oder Geheimagenten oder könnten fliegen oder wären unsichtbar oder im Besitz übernatürlicher Kräfte. Und genau das hat David sich ausgesucht. Übernatürliche Kräfte. Gewöhnlich macht das nichts, denn normalerweise würde jedermann in der Umgebung eines solchen Kindes es veräppeln oder ihm seine Illusionen ausreden. Aber ihr habt sie

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