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Das Nilpferd

Das Nilpferd

Titel: Das Nilpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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herumsprach, so war das. Ich hab das kürzlich in einem Brief von Jane erfahren. ›Als Davey mir erstmals erzählte, wie er Edward geheilt hat‹, schrieb sie. Es war nicht gerade Teil von Daveys Plan, daß seine magischen Gaben unerkannt bleiben sollten. Jane erzählte es Patricia und Rebecca, und die erzählten es Max und Mary und Oliver. Davey verkündete seinen Status als Heiler und Wundertäter der verdammten weiten Welt.«
    »Ich glaube, ich gehe jetzt, wenn ich bitten darf«, sagte Simon und erhob sich halb von der Tafel. Er hatte all dem äußerst bestürzt und unbehaglich gelauscht.
    »Nein, Simon … ich bitte dich«, sagte Michael. »Ich bitte dich, bleib.«
    Widerwillig plumpste Simon wieder auf seinen Stuhl. Alle sahen ihn an, und das haßte er.
    »Du willst also sagen, daß es in Wirklichkeit Simon war, der all diese Heilungen vollbracht hat?« sagte Patricia. »Daß er es ist, der die Gaben seines Großvaters geerbt hat?«
    »Simon hat auf jeden Fall die Kräfte Albert Bienenstocks geerbt«, sagte ich.
    »Simon. Ein Heiler …«, sagte Michael und schüttelte den Kopf.
    Simon selbst saß da und schauderte einfach vor Verlegenheit, der arme Kerl.
    »Michael, verstehst du denn nicht, worauf ich hinauswill?« sagte ich. »Dein Vater war kein Heiler. Seine Kräfte waren die Kräfte guten Willens, der Liebenswürdigkeit, des Anstands, der Selbstlosigkeit, der Zivilcourage, Bescheidenheitund des gesunden Menschenverstandes. Das magst du für prosaisch halten, aber was ist Lyrik anderes als die Verdichtung des Prosaischen? Eigenschaften, wie Albert Bienenstock sie besaß, mögen stinklangweilig scheinen, aber zusammengenommen, auf einen Mann konzentriert, wurden sie zu einem herrlichen Parfüm, und das hat Simon geerbt. Reicht euch das denn nicht?«
    Es reichte ihnen nicht.
    »Tut mir leid, wenn ich noch mal nachhake«, sagte Patricia, »aber das Wichtigste läßt du aus, Ted. Was ist mit Jane und Lilac und Oliver und Clara?«
    »Genau«, sagte Oliver. »Wenn Bescheidenheit und besonnener Charakter Leukämie und Leberversagen kurieren können, dann, finde ich, sollte die Welt das erfahren, findest du nicht auch?«
    Ich schenkte mir noch ein Glas Wein ein. Ich kippte mir das Zeug gallonenweise rein, und es rauschte in meinem Bauch. Durch den Wein und meine unerklärliche Nervosität und das Adrenalin, das mich aufputschte, fingen meine Därme an zu blubbern und mit Blähungen zu glucksen.
    »Davey glaubte ernsthaft, er könne Krankheiten heilen«, sagte ich und verkniff mir einen feuchten Furz. »Davon können wir, glaube ich, ausgehen. Er heckte ein schräges Hirngespinst aus, von wegen, er müsse rein sein, um diese geheimnisvolle Kraft kanalisieren zu können.«
    »Rein?« fragte Michael.
    Das würde äußerst heikel werden.
    »Ich nehme an, er hatte irgendwie entdeckt, vielleicht mit verletzten Tieren, daß seine Kur nicht immer mit einem bloßen Handauflegen getan war. Er entwickelte eine bizarre Theorie. Rein und natürlich lauteten die Schlüsselworte. Was er damit meinte, weiß der Geier. Nichts Zusammenhängenderesoder Überzeugenderes, als was ein Werbetexter mit ihnen ausdrücken will, nehme ich an. Davey beschloß, daß er so rein und natürlich werden müsse wie ein Tier. Rein und natürlich wie ein Marienkäfer, wohlgemerkt, nicht rein und natürlich wie dessen Vetter, der Mistkäfer. Rein und natürlich wie eine Gazelle, nicht rein und natürlich wie die Hyänen, die der Gazelle die Augen herausreißen und ihre Eingeweide verschnabulieren. Seine Vorstellungen von Reinheit und Natürlichkeit scheinen mehr mit einem viktorianischen Kindergesangbuch gemein zu haben als mit einem echten Verständnis der faßbaren Welt. All Morgen ist ganz frisch und neu, und nichts ist faul und alt. Aber gleichzeitig kam Davey in die Pubertät, vergeßt das nicht, ein Ereignis, für das viktorianische Gesangbücher keine Vorsorge getroffen haben, ein Ereignis, das so faul und alt ist wie man es sich nur vorstellen kann. Davey ist ein Kind von gieriger Sinnlichkeit. Diejenigen an dieser Tafel, die männlichen Geschlechts sind, werden sich bestimmt erinnern, wozu unsere Gonaden und Gameten imstande waren, als wir fünfzehn waren. Was mich angeht, sind sie dazu immer noch imstande, wenngleich nicht mehr mit der berstenden Gewalt von Anno dazumal. Davey empfand es als Schmach, als er eines Morgens entdecken mußte, daß er einem feuchten Traum erlegen war. Das stellte ihn vor ein Problem. Warum hatten Gott und die

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