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Das Nilpferd

Das Nilpferd

Titel: Das Nilpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Anekdote mit den Worten abrunden können, »die ganze Sache wurde natürlich unter den Teppich gekehrt«. 1964 sprach es sich jedoch herum, und Peter führte ein klägliches Dasein, wo immer er auftauchte: Wie im Fall des armen Profumo oder bei einem von der Watergate-Bande war sein Name für immer und ewig mit diesem einen Skandal verbunden. Die Sache war, Peterwar immer ein hervorragender Schütze gewesen, und das Gerücht, daß er absichtlich auf diese Eingeborenen gezielt habe, war nicht totzukriegen. Das war nicht unbedingt glaubhaft, Cambric kam schließlich aus einer fortschrittlichen Familie, sprach von seinem Sitz im Oberhaus im liberalen Interesse und stimmte konsequent gegen die Todesstrafe. Die Auslegung der Affäre lautete dann, daß er die Schnalzlaute der Kalahari-Buschleute für den Ruf eines Straußen oder so gehalten hatte. Das reichte, um Cambric bei den Mächtigen dieses Landes wieder salonfähig zu machen, aber nicht, um ihn vom Ruch des Unschicklichen zu befreien. Jedenfalls – ich hole tief Luft – führt dies alles irgendwohin, denn eines Tages Mitte der Siebziger teilte ich mir beim Cheltenham Gold Cup mit Peter ein Auto in die Stadt zurück, und wir saßen hinten und soffen nach dem Motto »gut gekotzt ist halb gefrühstückt« die Gratisflaschen Hine oder Martell oder sonst einen Cognac leer, dessen Stammhaus damals gerade das Rennen sponserte. Cambric hat mir damals gebeichtet, daß er tatsächlich bewußt und sorgfältig gezielt, dafür aber eine Entschuldigung hatte. Offenbar war einer dieser eigenartigen Momente, die ich Dir gerade geschildert habe, plötzlich über ihn gekommen. Der ganze Schauplatz, das
veld
, die Bäume, das Wild, die Träger, selbst der Himmel über ihm, alles war ihm auf einmal völlig unwirklich vorgekommen. Das Dasein verlor jegliche Bedeutung. Das Leben hatte nicht einmal mehr vergängliche Substanz; weder sein eigenes noch das anderer. Sobald er jedoch zum zweiten Mal abgedrückt hatte, kam er wieder zu sich, ließ das Gewehr fallen und keuchte: »O mein Gott, o mein Gott«, als ihm die Wahrheit bewußt wurde.
    »Meine Erfahrung, Ted«, erzählte er mir, »war nichts weniger als Ekstase.«
    »Ekstase?«
    »Ich habe seit jenem Tag viel von Mutter Juliana und in der
Wolke des Nichtwissens
gelesen. Die Mystiker. Ekstase heißt ›außer sich geraten‹. Aus dem Griechischen.«
    »Mhm«, sagte ich. »Ja. Dir ist klar, mein alter Liebling, daß sich das vor Gericht alles ziemlich schwammig anhören würde?«
    »Es gibt eine höhere Gerechtigkeit«, sagte Peter mit dem sentenzenhaften Überschwang der reichlich Abgefüllten, und dabei beließen wir es.
    Während ich juckend dalag, verfluchte ich meine eigene Anfälligkeit, die sich, dem hoffnungslosen Humbug der Dingwelt konfrontiert, stets eher der müßigen Enklave ergeben hat als der mystischen Ekstase. Wenn man am Abgrund steht und noch einen Stoß bekommt, dann braucht ein Mann einen Grund, um morgens aufzustehen, und zwar etwas Überzeugenderes als drohendes Wundliegen. Ich warf die Decken ab und watschelte mit knackenden Knöcheln barfuß zum Beistelltisch mit den Drinks. Ich starrte die Flaschen an.
    »Beim Schwanz Gottes«, sagte ich mir. »Es ist fast vier Uhr früh. Ich kann doch unmöglich so runtergekommen sein.«
    Ich stand da und starrte eine knappe Stunde lang auf diese Whiskyflaschen. Hinter ihren großen grünen Hälsen wurde ein Lichtstreifen zwischen den Vorhängen heller, und Vogelzwitschern erklang in der Luft. Konnte die Tränen nicht zurückhalten. Launische Tränen, frustrierte Tränen, traurige Tränen, rührselige Tränen, schuldbeladene Tränen … ich weiß nicht, was es für Tränen waren. Einfach Tränen, müßige Tränen.
    Mach dich auf die Socken, dachte ich, schnappte mir eine volle Flasche und schlüpfte in ein Paar Schuhe. Lauf ein bißchen herum.
    Da ich den Schwierigkeitsgrad der großen Eingangstür lieber nicht riskieren wollte, ging ich durch ein Flügelfenster im Salon hinaus und trödelte eine Weile auf der Terrasse herum, schnupperte die Morgenluft und versuchte mir einzureden, sie sei viel gesünder als unsere Londoner Dämpfe.
    Trotz sämtlicher Lebensbeweise um mich herum, den schon erwähnten Vögeln und dem anschwellenden Pflanzenleben aus Rabatten, Büschen und Bäumen wurde mir das absolut Tote meiner Umgebung bewußt. London dagegen, London morgens um halb fünf schwirrt nur so vor Leben. Das Tuten der Zeitungslieferanten, die durch die leeren Straßen donnern,

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