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Das Nilpferd

Das Nilpferd

Titel: Das Nilpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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»Hast du Lust auf einen Spaziergang?«
    »Warum nicht? Du kannst mir einen kräftigen Wanderstab schnitzen und mir die Namen der wilden Blumen nennen.«
    Wir machten uns in Richtung zum See und dem dahinter liegenden Gehölz auf.
    »Meiner Meinung nach«, sagte er, »ist Liebe den Leuten viel peinlicher als Sex.«
    »Aha. Und wie kommst du darauf?«
    »Na ja, es redet keiner darüber, oder?«
    »Ich dachte, sie reden über kaum was anderes. Jeder Film, jeder Popsong, jede Fernsehsendung. Liebe, Liebe, Liebe.
Make love, not tea. All you need is love
. Liebe ist eine strahlende Sache. Alte Liebe kostet dich.«
    »Also dann kann man genausogut sagen, sie redeten über Religion, weil sie so oft ›Mein Gott!‹ oder ›Um Himmels willen!‹ sagen. Sie
sagen
›Liebe‹, aber sie reden nicht wirklich darüber.«
    »Und ich frage mich«, sagte ich, »ob du je verliebt warst.«
    »Aber ja«, sagte David. »Seit ich denken kann.«
    »Mhm.«
    Eine Weile gingen wir schweigend weiter und umrundeten den See. Die Wasseroberfläche zuckte vor Ruderwanzen, Libellen und einem Knäuel auf dem Wasser laufender Insekten, die ich nicht kannte. Ein schwerer, fleischiger Geruch nach Wasser, Schlamm und Verwesung stieg von den Ufern auf. David entging nichts, während wir dahinschritten,seine Blicke schossen in alle Richtungen. Dabei hatte ich nicht den Eindruck, als ob er etwas suche. Ich mußte eher an ein Spiel namens Hectors Zimmer denken, das ich mal bei den Crawfords oben in Schottland gespielt habe. Kennst du das? Man zeigt dir eine Minute lang ein Zimmer, dann verkrümelst du dich, und alle anderen machen sich darüber her, jeder nimmt eine kleine Veränderung vor, verrückt eine Lampe, entfernt einen Papierkorb, vertauscht zwei Bilder, stellt einen neuen Gegenstand rein, so Sachen halt. Dann mußt du wieder reingehen und so viele Änderungen finden wie möglich. Am Anfang haben die Crawfords es im Zimmer ihres Sohns Hector gespielt, daher der Name, und ich dachte immer, die eigentliche Absicht bestehe darin, den Männern und Frauen zu zeigen, wo genau das Schlafzimmer des anderen lag, und damit das nächtliche Rendezvoodoo vorzubereiten. Das ist jedenfalls der einzige Nutzen, den ich je daraus ziehen konnte. Egal, ein Spieler hat einen ganz bestimmten Gesichtsausdruck, wenn er in das Zimmer zurückkommt, ein schwaches Lächeln und ein huschender, prüfender Blick, mit plötzlich argwöhnischem, aber amüsiertem Herumwerfen des Kopfes, als könne man Möbel und Einrichtungsgegenstände noch
in migranti
erwischen. Davids Verhalten erinnerte mich an genau diesen Augenblick des Spiels.
    »Ich glaube«, sagte ich, »ich meinte eher, ›hast du je geliebt?‹, obwohl das eine widerliche Phrase ist.«
    David war stehengeblieben und untersuchte Pilze an einem Erlenstamm.
    »Natürlich«, sagte er. »Seit ich denken kann.«
    »Ähem. Ich glaube, ich muß noch deutlicher werden, Davey. Hattest du je sinnliche Gelüste?«
    Er sah zu mir hoch und sagte langsam: »Seit ich denken kann.«
    »Tatsächlich? Und hast du daraufhin je etwas unternommen?«
    Er wurde etwas rot, sagte aber entschieden: »Nein. Niemals.«
    »Gibt es jemand Bestimmten?«
    »Erinnerst du dich«, fragte er, »an die Treibjagd am Weihnachtstag vor vier Jahren, als jemand an den Patronen herumgebastelt hatte und das ganze Konfetti durch die Gegend flog?«
    »Lebhaft.«
    »Alle dachten, die New-Age-Fritzen wären das gewesen, die in der East Lodge gewohnt haben. Die Lauten anfertigten und eine Ziege hielten.«
    »Das wurde erwähnt, ja, ich erinnere mich.«
    »Die waren es aber nicht.«
    »Nein?«
    Während wir uns auf den Rückweg zum Haus machten, erzählte er mir, was er angestellt hatte. Er hat mich nicht zu ewigem Stillschweigen verpflichtet oder irgend so ein Quatsch, aber da mich die pompösen Rituale der Jagd eh nicht sonderlich begeistern, habe ich nicht die Absicht, es irgend jemandem zu erzählen. Abgesehen von Dir natürlich, der ich es gesondert schicken werde, nachdem ich es im Lauf des Wochenendes zu einer amüsanten Anekdote ausgearbeitet habe.
    Erst später am Abend, als ich mich zum Essen umzog, dämmerte mir, daß er meine letzte Frage nicht beantwortet hatte.

III
     
     
    20. Juli 1992, viel zu früh
     
    Inzwischen ist Montag, es geht auf sieben in der Frühe zu, und ich habe einen Großteil der Nacht mit dem Schreiben dieses Briefes verbracht.
    Nach dem Abendessen hatte ich schlechte Laune. Keiner wollte noch was mit mir trinken, keiner wollte Karten

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