Das Nilpferd
spielen oder sich sonstwie unterhalten. Also bin ich nach oben gegangen und hab mich in meinem Zimmer dem Weltschmerz ergeben.
So ein melancholischer Anfall ist schwer zu erklären. Du kannst versuchen, ihn zu rationalisieren. Vielleicht dümpelte ich im trüben, weil ich Schuldgefühle wegen meines Mißbrauchs von Logans Gastlichkeit hatte: Machen wir uns doch nichts vor; ich agiere als von Dir bezahlter Spion. Das ist allerdings eine eher unwahrscheinliche Erklärung meines Gemütszustandes, der, denke ich, eher dem Anno Domini geschuldet ist.
Ich lag im Zimmer unter dem großen Baldachin meines Himmelbetts und verfolgte den Sommernachtsjuckreiz über meinen Körper. Ein kleines Stechen weckte das nächste und noch eins, bis ich auf dem Bett bockte wie dieses kleine Mädchen im Exorzismusfilm. Dasselbe fand in meinem Kopf statt, geistiges Jucken platzte wie Blasen. Zuwenig Whisky vorm Zubettgehen, das war das Problem.
Mit sechsundsechzig, dachte ich, trete ich in die letzte aktive Phase meines körperlichen Lebens ein. In Bewegung erinnert mein Körper Augen und Ohren an nichts so sehrwie an einen Müllbeutel voll Joghurt; meine Konzentrationsfähigkeit – neben Egoismus das einzige Talent, das ein Lyriker braucht – ist verblichen. Ehen sind futschikato, und beruflich hält mich jeder für einen Witz. Den Dichter der Rechten nennt man mich. Typisch aufkeimende Unverschämtheit. Bloß weil ich die Glattzüngigkeit der schnell verblühenden Klassiker unserer akademischen Cosa Nostra nicht mitmache, bloß weil ich Bock auf einen Titel habe und auf gesittetes Benehmen stehe, bloß weil ich den Unterschied zwischen Politik und Poetik kenne, bloß weil ich einen Rest Nationalgefühl habe, bloß weil ich Kipling für den besseren Lyriker als Pound halte (eine Ansicht, zu der sich übrigens in letzter Zeit selbst Leinenschuhe tragende Akademiker durchgerungen haben), bloß weil ich, kurz gesagt, meinen eigenen Grips und meine eigenen Ellenbogen habe, ignorieren und schmälern sie mich. Scheiß drauf. Scheiß auf die alle. Gar nicht nötig: Die sind schon beschissen. Aber trotzdem habe ich dieses Gefühl, das ich einfach nicht loswerde, das Gefühl, daß ich in dieser Lebensperiode von der Zeitung aus guten Gründen rausgeschmissen worden bin – nein, so stimmt’s nicht, ich bin offensichtlich aus guten Gründen gefeuert worden –, was ich sagen will, ist, daß ich mich mit voller Absicht habe feuern lassen.
Und die Dämlichkeit der Dinge – auch die hielt mich wach. Du hast sicher auch solche Momente durchgemacht, wo das Leben einem grenzenlos absurd vorkommt. Gerade jetzt, wo ständig dieses Todesurteil über Dir hängt. Mir begegnen die am häufigsten, wenn ich aus dem Fenster eines fahrenden Autos oder Zuges schaue. Du siehst plötzlich etwas absolut Gewöhnliches, meinetwegen auf dem Bahndamm nickende Glockenblumen oder eine Familie beim Picknick auf einem Rastplatz, und plötzlich kann dein Verstand die Vorstellung der einen Welt voller Leben undObjekte und Mitmenschen nicht mehr aufrechterhalten. Allein die Idee eines Universums scheint dir monströs, und du siehst dich außerstande, daran teilzuhaben. Was, beim Himmel, glaubt jener Baum, wozu er da ist? Warum liegt dieser Kieshaufen da so geduldig? Was tue ich, wenn ich aus einem Fenster starre? Warum hängen all diese Glasmoleküle so zusammen, daß ich durch sie hindurchsehen kann? Natürlich vergeht ein solcher Moment, und wir kehren in unser angestammtes Reich stumpfen Denkens und noch stumpferer Zeitungen zurück: In Bruchteilen einer Sekunde sind wir wieder Teil dieser Welt, bereit, wegen der Stupidität eines Kabinettsangehörigen einen Herzanfall zu erleiden oder uns dazu verführen zu lassen, uns um irgendeinen kreuzbescheuerten neuen Trend in der Konzeptkunst zu kümmern, wieder einmal werden wir Teil des großen Komposthaufens. Unsere Absence ist so flüchtig und unsere Kontrolle über sie so schwach, daß kein Willensakt diese Erfahrung zurückholen kann.
Peter Cambric, den ich in den Siebzigern, also wahrscheinlich etwas vor Deiner Zeit, ganz gut kannte, wurde bis zu seinem Tode von der Geschichte einer Jagdpartie verfolgt, zu der er sich 1964 in Südafrika aufgemacht hatte. Er nietete ein paar Elefanten um, was unseren heutigen Tugendterroristen zu seiner Verdammung reichen würde, schaffte es aber, auch noch ein paar Buschleute umzupusten, was man schon damals für charmant übertrieben hielt. Vor hundert Jahren hätte man eine solche
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