Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Nilpferd

Das Nilpferd

Titel: Das Nilpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
Vom Netzwerk:
das zischende Urinieren der Obdachlosen, das schnelle Staccato billiger Pfennigabsätze, die die Alleen hinabklackern, das Rasseln einsamer Cabs und auf Plätzen und Straßen lauteres Zwitschern der Amseln und Spatzen, als die Provinz je kennenlernen wird, all diese Geräusche werden durch die allen großen Städten gemeinsame Eigenschaft belebt und erhalten durch sie Bedeutung: eine Akustik. In der Stadt klingt das alles. Die ländliche Welt zeigt weder Resonanz noch Widerhall oder Echo, nicht den geringsten Laut der Zivilisation. Damit eignet sie sich prima für den gelegentlichen Erholungstrip oder Wochenendausflug, taugt aber nicht im geringsten als menschlicher Lebensraum. Das Landvolk ist natürlich anderer Meinung: Wenn sie könnten, wie sie wollen, würden sie Piccadilly und die Strand mit Moos auslegen und würden Glyzinien die Mauern des Buckingham Palaee hinaufranken lassen, bloß um jegliches Geräusch von Nachhall abzuhalten. Und wie mit Klängen, so auch mit Ideen. Ruf in der Hauptstadt morgens einen Gedanken in die Luft, und er wird im »Standard« in der letzten Ausgabe fürs West End in den Lokalnachrichten gedruckt, am selben Abendim Harpo Club herumgeschrien und im »Time Out« der folgenden Woche als alter Hut veralbert. Belanglos, keine Frage, widerlich, ei gewiß, aber jedenfalls Anzeichen einer lebhafteren Atmosphäre, als in Arkadien vorherrscht, wo die Ideen so quicklebendig sind wie ein durchlöcherter Tennisball auf einem Torfmoor.
    Eins aber, das muß ich zugeben, kann die Provinz wirklich gut, und das ist Tau. Und als ich an der Terrassenbalustrade lehnte und die Whiskyflasche umklammerte, ohne jedoch zu trinken, lenkte der Frühtau mein Auge auf sich. Der breite Rasenstreifen, der sich zum Begrenzungsgraben hinabzieht, und das ungemähte Gras dahinter, wo die Pferde manchmal weiden, waren, wie man erwarten kann und darf, mit Unmengen hübscher und ansprechender Tautropfen übersät. Eine dunklere Spur im Gras, die in der Rasenmitte verlief, zog meine Aufmerksamkeit an, eine Spur, die besagte, daß jemand vor kurzem hier entlanggelaufen war. Ein Gärtner, Gärtnerbursche, Wildhüter oder Hausdiener würde sich selbst in diesen ungesitteten Zeiten an die Wege halten, überlegte ich, wer aus der Familie also war – ein kurzer Blick auf die Uhr –, wer war um drei Minuten vor fünf schon auf den Beinen?
    Ich ging der Spur nach und durchnäßte dabei ein exzellentes Paar Wildlederschuhe. Wen schert’s, dachte ich, wie ein Mädchen aus der Heilsarmee in einem Theaterstück der Sechziger, das das Leben kennenlernt, hier gibt es Abenteuer mitzumachen. Ich verfolgte die geschlurfte Fährte meines Vorgängers, bis ich am Endstück des Rasens ankam, wo er sich zum tiefen Begrenzungsgraben hinabschlängelte. Der dunkle, frei liegende Boden, der Sonne ausgesetzt und ausgetrocknet, nahm hier keinen Tau an, oder wenn doch, saugte er ihn sofort auf, und ich konnte keiner Spur mehr folgen.
    Falls mein mysteriöses Wild keine Sprungfedern an den Hacken hatte, die so stark waren, daß er oder sie mit ihrer Hilfe über den Graben setzen konnte, dann mußte es nach rechts gegangen sein, in ein dunkles, dicht mit Lorbeer und Rhododendron bewachsenes Gebiet. Ich machte mich dorthin auf und kam mir inzwischen ziemlich verarscht vor.
    Der Streifen, einer dieser Säume, mit denen kein Gärtner etwas anfangen kann, war so dicht mit bösartigem Gestrüpp bepflanzt, daß ich keinen Eingang finden konnte. Ich stand davor, schwenkte die Flasche wie eine Keule und lauschte. Nichts zu hören. Das Gras zu meinen Füßen wuchs hier wieder üppiger, trug aber keine Anzeichen für das Vorhandensein menschlicher Wesen. Ich drehte mich um und ging völlig verwirrt zur Rasenecke zurück. Sehr gegen meinen Willen begann ich an Dein Wort »Wunder« zu denken. Halt mich nicht gleich für verrückt, aber sag mal, meine Beste, hast du jemanden … mein Verstand sträubt sich gewaltig gegen den Gedanken … jemanden
fliegen
gesehen? Lächerlich, natürlich, aber … schreib mir, ob sich das mit dem deckt, was ich für Dich herausfinden sollte.
    Ich hatte ein Gefühl, das dem glich, was einen des Nachts überfällt, wenn man einem geheimnisvollen Geräusch auf den Grund zu gehen versucht, das einem den Schlaf raubt. Du stehst mit klopfendem Herzen und offenem Mund an der Treppe. Als erstes eliminierst du das Offensichtliche: Kletterpflanzen, die gegen die Fensterscheibe schlagen; dein Hund, Weib oder Kind beim Ausräumen der

Weitere Kostenlose Bücher