Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
glauben, es handele sich um eine Fälschung.«
Er ging zu einer Kommode, zog eine Schublade auf und fischte ein Blatt heraus. »Eine Kopie«, sagte er und reichte es uns.
Ein merkwürdiger Brief war das. Die Königin schien ihre Sinne nicht ganz beieinanderzuhaben. Sie lobte Nostradamus’ paranormale Fähigkeiten und verwies in schwülstigen Worten auf Cäsar, Kleopatra, Michelangelo, Machiavelli, die Tempelritter und Johanniter, einen historischen Schatz und die Bundeslade. Sie zog eine direkte Linie von Cäsars Schatz zum französischen König Philipp IV ., der, wie sie meinte, auf der Spur des Schatzes gewesen sei, als er das Massaker an den Tempelrittern veranlasst hatte. Ja, ebendiese Jagd auf Cäsars Schatz habe Philipps Zorn gegen die widerspenstigen Tempelritter geschürt, behauptete die Königin in dem Brief.
Mein Blick suchte Angelicas Augen und blieb daran hängen. Ich konnte ihren Ausdruck nicht deuten.
Für Verschwörungstheoretiker ist der verborgene Schatz der Tempelritter eine mythische Verlockung. Was brachten die Tempelritter aus Jerusalem mit? Der Tempelberg ist heiliger Boden für Christen, Juden und Muslime. Was also erbeuteten die Ritter dort? Was mochten sie in verborgenen Grotten tief unter dem ehemaligen Tempel Salomos gefunden haben? Den heiligen Gral? Die Bundeslade? Jesu Kreuz und Dornenkranz? Geheime Buchrollen, die neues Licht auf Jesu Lehre warfen? Okkulte Schriften aus dem alten Ägypten? Enorme Mengen Gold und Edelsteine? Die Tempelritter waren unfassbar reich. Hatte König Philipp IV . deshalb die Anführer gefangen genommen und grausamster Folter unterzogen? Oder hatten sie tatsächlich die Bundeslade gefunden, wie Piero Ficino behauptete? Hatten sie ihr Geheimnis verraten? Nein. König Philipp hatte seinen gehorsamen Untertan Papst Clemens V . auf seine Seite gezogen, damit der ihn bei der Verfolgung und Zerschlagung des Tempelritterordens unterstützte. Waren sie zu mächtig geworden für den König und den Papst? Der letzte Großmeister des Ordens, Jacques de Molay, wurde 1314 auf einer Insel in der Seine in Paris auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Und das, obgleich Papst Clemens V . die Tempelritter bereits 1308 – in einem geheimen Dokument, das erst im Jahre 2001 entdeckt wurde, als ein italienischer Forscher in den geheimen Archiven des Vatikans auf das Chinon-Pergament Vitae Paparum Avenionensis stieß – von allen gegen sie gerichteten Anklagen freigesprochen hatte. Ehe die Flammen ihn verzehrten, stieß Jacques de Molay noch einen Fluch über König und Papst aus, in dem er sagte, dass er sie noch vor Ablauf eines Jahres vorm Gottesgericht wiedersehen würde. Ob das, was dann passierte, Zufall war oder Molays gutem Kontakt zum Jenseits geschuldet, wissen wir nicht. Aber Papst Clemens V . starb einen Monat später, König Philipp ein Jahr danach.
»Ich habe die Antwort von Nostradamus an die Königin gelesen«, sagte de Garencières. »Die ist nicht minder merkwürdig. Das Original ist im Besitz der Universitätsbibliothek von Florenz.«
»Haben Sie eine Kopie?«, fragte ich.
»Leider nein. Der Konservator wollte es mich nicht kopieren lassen, der Sturkopf. Er ist Leiter der Manuskriptsammlung an der Universitätsbibliothek in Florenz. Immerhin hat er mich in seiner unermesslichen Gnade den Brief lesen lassen.«
»Er heißt Carlo Cellini«, sagte Angelica. »Ich habe ihn mal interviewt.«
Dämmerung. Die Sonne schimmerte bleich am Himmel, als Angelica und ich uns einige Stunden später von Theophilus de Garencières und seinem reichen Fundus an Mysterien verabschiedeten. Ich hatte – vielleicht unbewusst oder auch nicht – Angelicas Hand ergriffen. Sie ließ sich nichts anmerken. Wie ein Paar schlenderten wir durch die stillen Gassen zurück zum Auto. Zum Glück war der Ausflug nicht umsonst gewesen. Ein neuer Name: Carlo Cellini. Und drei Chiffren.
Libico β . δ έκα Mei. ϢϪϪϪϯϯϮϤϦϭϧ .
Jetzt hatten wir etwas Konkretes, auf das wir uns stürzen konnten.
5 Dedans le coing de Luna viendra rendre,
Où sera prins & mis en terre estrange,
Les fruicts immeurs seront à grand esclandre,
Grand vitupere, à l’un grande louange.
Les Prophéties (1555, 2. Aufl.), Centurie 9, Strophe 65.
6 Hebräisch für » Licht« und »Recht « .
7 Urim und Thummim werden auch schon beim Propheten Esra erwähnt (2, 63) und bei Nehemia (7, 65).
8 2. Buch Mose, Kap. 28, Vers 30.
9 Nostradamus in einem auf August 1562 datierten Brief an seinen Kunden François
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