Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
Formulierung L’ABATTES AILS BOT festgebissen. Etwas niederwerfen oder niederlegen. Zerstören oder töten. Knoblauch. Tonne oder Boot . Danach die Reihe mit Buchstaben und Zahlen. MBOMAOMDCNMLEHEV C 3443. Worte. Nichts als Worte. Worte ohne Inhalt. Aber genau diese Sinnlosigkeit legt nahe, dass gerade diese Worte mehr beinhalten. Etwas, das sich in den Worten versteckt. Ein Anagramm? L’ABATTES AILS BOT . Er schreibt die Worte auf einen Zettel, starrt konzentriert darauf und lässt die Buchstaben in Gedanken hin und her treiben. Und dann, wie so oft, entdeckt er die Lösung in nur wenigen Sekunden. Natürlich! Das Anagramm verbirgt einen Namen: Battista Bellaso .
Ha!, ruft er. Eine Vigenère-Chiffre!
Das Prinzip der Vigenère-Verschlüsselung wurde erstmals 1553 von Giovan Battista Bellaso in dem Buch La Cifra erwähnt, war im Grunde aber eine Weiterentwicklung der Gedanken, die Leon Battista Alberti fast hundert Jahre zuvor in De cifris zu Papier gebracht hatte. Der französische Kryptologe Blaise de Vigenère arbeitete an einer vergleichbaren Verschlüsselung. Als Fachmann hatte Lorenzo an einigen Debatten teilgenommen, in denen es um die Frage gegangen war, ob nun de Vigenère oder Bellaso die Ehre der Erfindung dieser Verschlüsselung zukam. Oder ob sie beide ihren Beitrag dazu geleistet hatten. De Vigenère ging als Sieger hervor. Noch 1917 stand in der Scientific American , dass die Vigenère-Verschlüsselung nicht lösbar sei – obwohl es dem Mathematiker und Philosophen Charles Babbage bereits 1850 gelungen war, sie zu knacken. Bis etwa ins 16. Jahrhundert war der Schwachpunkt fast aller Verschlüsselungen die sogenannte monoalphabetische Substitution – die bedeutet, dass das gleiche Zeichen immer durch den gleichen Buchstaben ersetzt wird. Damit brauchen die Kryptologen nur auf die Frequenzanalyse zurückzugreifen. In vielen Sprachen ist der Buchstabe E der häufigste. Wenn der weitaus seltenere Buchstabe Q in einem chiffrierten Text am häufigsten vorkommt, liegt die Vermutung nahe, dass das Q einfach das E ersetzt. So arbeiten die Kryptologen sich Buchstabe für Buchstabe durch einen Text. Mit mathematischer Logik.
Die Vigenère-Verschlüsselung ist anders. Sie nutzt nicht nur ein, sondern insgesamt sechsundzwanzig Schlüsselalphabete, um eine Nachricht zu codieren. Die Folge ist, dass sich das Zeichen für den gleichen Buchstaben im Laufe eines Textes ändert. Aus dem E wird nicht nur Q, sondern auch eine ganze Reihe anderer Buchstaben. Will man verschlüsselte Texte austauschen, müssen sich Absender und Empfänger auf ein Schlüsselwort einigen. Erst mit Hilfe dieses Schlüsselwortes kann der Empfänger die Zeichen aus der richtigen Reihe des Vigenère-Quadrats ablesen. Lautet das Schlüsselwort oracle , legt man dieses so oft über den unverschlüsselten Text, bis jeder Buchstabe mit einem Buchstaben des Schlüsselwortes korrespondiert.
Als Diplomat musste de Vigenère immer wieder verschlüsselte Nachrichten schicken. Le chiffre indéchiffrable wurde die Verschlüsselung genannt: der unlösbare Code. In jeder der sechsundzwanzig Zeilen des Quadrats ist das Alphabet um eine Stelle verschoben. Ausgehend von dem Schlüsselwort, das sich fortlaufend wiederholt, sodass jeder Buchstabe einen Buchstaben des Schlüssels erhält – den man aus dem Quadrat ausliest – entsteht eine Sammlung von Zeichen, die sich den meisten Dechiffrierungsmethoden entzieht.
Das Vigenère-Quadrat. Ein Chaos von Zeichen. Als wollte man im Sternenhimmel einer klaren Nacht nach einer Botschaft suchen. Oder ein Muster in den Sandkörnern am Strand, im Schleier des Regens oder im Tanz der Schneekristalle. Trotzdem liegt hinter dem Chaos ein Muster verborgen. Mit mathematischen Methoden und kreativer Logik kann man dem Nebel der Zeichen die versteckte Botschaft entlocken. Mit Hilfe des Schlüsselwortes ist die Dechiffrierung nur eine Frage von Zeit und Geduld. Wie also lautet das Schlüsselwort, und wo kann er es finden? Er muss lachen. Die Antwort ist offensichtlich. Man muss nur hinschauen. Richtig hinschauen:
L’ABATTES AILS BOT
MBOMAOMDCNMLEHEV C3443
Ein Schlüssel.
Ein Anagramm.
Ein Verweis.
MBOMAOMDCNMLEHEV C 3443.
Die letzte Zeile ist natürlich der Verweis.
*
Die Bibliothek ist für den Abend geschlossen. Sie sind wieder in der Zelle. Er hat die Kerze auf seinem Schreibtisch angezündet. Die Flamme flackert im Windzug, der durch das Fenster hereindringt. Mit Stift und Lineal hat er ein Vigenère-Quadrat
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