Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
Das Wasser ist lauwarm. Mondlicht fällt durch das Fenster. Andere Lichter sind nicht zu sehen. Und auch keine Autos. Keine Häuser. Er bleibt am Fenster stehen und starrt nach draußen, bevor er lautlos zum Bett geht. Silvio schläft. Sein Mund steht halb offen. Gleichmäßige, tiefe Atemzüge. Er setzt sich vorsichtig auf die Bettkante, um den Jungen nicht zu wecken. Ein paar Minuten bleibt er so sitzen und beobachtet seinen Sohn. Er erkennt nicht viel von sich selbst in ihm wieder, aber Angelica wohnt in den weichen Zügen seines Gesichts. Zärtlich fährt er mit der Fingerkuppe über seine Haut. Sie ist weich und glatt. Wieder muss er an Angelica denken. An ihre Haut. Ihre Augen. Wenn er mitten in der Nacht wach wird, dreht er sich gerne zur Seite und beobachtet sie im Dunkeln. Manchmal liegt sie dann mit offenen Augen da. Wach. Was ist los?, fragt er dann. Und jedes Mal antwortet sie: Nichts, ich kann bloß nicht schlafen. Sie hat ihm nie erzählt, an was sie in diesen Momenten denkt. Er vermisst sie. Wo ist sie jetzt? Was tut sie? Sie muss außer sich sein vor Angst. Angelica ist abhängig davon, dass alles seinen gewohnten Gang geht. Dass die Routinen eingehalten werden. Für sie sind das die Fixpunkte ihres Lebens. Silvio hat diese unterdrückte Angst geerbt. Er verliert schnell die Ruhe. Lorenzo spürt, wie müde er ist. Er knöpft sich das Hemd auf. Und hält inne. War da nicht ein Geräusch? Draußen im Dunkel blinkt es rot, der Lichtschein reflektiert am Fenster. Es muss gerade erst zu leuchten begonnen haben, sonst hätte er das Licht gesehen, als er am Fenster stand. Warum blinkt es? Warum rot? Er faltet sein Hemd zusammen und legt es unter dem Bett auf den Boden. Ferne, schnelle Schritte. Rufen. Türschlagen. Er zieht die Hose aus. Irgendwo beginnt eine Sirene zu heulen. Tief und klagend. Er tritt ans Fenster. Lauscht. Die Geräusche sind durch die Entfernung gedämpft. Durch die Wände. Er legt eine Hand hinters Ohr und konzentriert sich. Rufe. Hastige Schritte. Eine Alarmsirene. Der rote Lichtschein blinkt im Fenster.
Mein Gott, denkt er, ist das Feuer?
IV
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FLORENZ
NACHT AUF MITTWOCH – MITTWOCH
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Ihr sollt keine Wahrsagerei, keine Zeichendeuterei treiben.
…
Wenn in einem Mann oder einem Weib
ein Totenbeschwörer oder Wahrsagergeist steckt,
so sollen sie unbedingt sterben.
3. BUCH MOSE
K APITEL 10 Das Grab des Cäsar
A UF DEM W EG NACH F LORENZ,
N ACHT AUF M ITTWOCH
I
Ein Archäologe ist ein Detektiv der Geschichte. Wir finden Ordnung, wo andere nur Chaos finden, sehen Muster, wo für andere nur Unordnung ist. Wir graben, wo andere niemals graben würden.
Aber ich will mich nicht selber loben. Detektiv? Ich bin kein Held und ganz sicher nicht taff. Ein rauer Kerl, in den die Frauen sich verlieben? Ha, ha. Alkoholprobleme? Fehlanzeige. Ein schwieriges Privatleben? Tja, streng genommen habe ich kein Privatleben, über das es sich zu reden lohnt.
Aber ich bin hartnäckig. Das schon. Ich gebe nicht so schnell auf.
Die Feldarbeit ist nur ein kleiner Teil der archäologischen Tätigkeit. Das Wichtigste geschieht danach. Wenn wir die Funde mit in unsere Magazine, Labore und Werkstätten nehmen. An diesem Punkt trennt sich die Spreu der Archäologen vom Weizen, also den Neugierigen, Geduldigen, denjenigen, die nach den vergessenen Geschichten suchen, die sich hinter einem verblassten Schmuckstück oder einer Klinge von einer fernen Küste verbergen.
Ein Archäologe ist ein Systematiker. Wir schnappen kleine Details auf, die ein größeres Bild ergeben. Ein Knochen hier, ein Backenzahn da. Eine Münze, die aus einer anderen Epoche als die anderen stammt. Ein Schwert aus einer römischen Legion. Etwas, das heraussticht, das nicht an den Fundort gehört, das eine andere Geschichte erzählt.
Der Besuch bei Theophilus de Garencières war voller solcher Funde. Kleine, unbedeutende Details und größere, wichtigere Hinweise. Aber genau wie wir Archäologen nur selten unmittelbaren Nutzen aus den morschen Schuhsohlen oder rostigen Werkzeugen ziehen können, die wir in einer uralten Kulturschicht finden, war es nicht leicht, das Gesamtbild all der Hinweise zu erkennen, die de Garencières uns gegeben hatte. Ich brauchte Zeit. Jetzt ging es ans Organisieren, Sortieren und Systematisieren.
II
Die Scheinwerfer schnitten einen Tunnel aus Licht in das Dunkel. Wir hatten Salon verlassen und folgten einer verworrenen Route entlang alter
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