Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
auf ein weißes Blatt Papier gezeichnet.
So sieht es in all seiner Einfachheit aus, in all seiner Komplexität.
Silvio wälzt sich in seinem Bett hin und her und schluchzt im Schlaf. Lorenzo dreht sich zu seinem Sohn um, betrachtet ihn, um zu sehen, ob er wach ist und Trost braucht. Der Junge schlägt die Augen auf.
Papa?
Ich bin hier.
Kommt Mama?
Bald.
Was machst du?
Nichts Spannendes.
Darf ich das mal sehen?
Natürlich.
Schlaftrunken klettert Silvio aus dem Bett und geht zum Schreibtisch. Er starrt auf das Quadrat und fragt: Was ist das?
Ein Code.
Das?
Ich brauche diesen Zettel, diese Buchstaben, um den Code zu entschlüsseln.
Und wie machst du das?
Du weißt, was ein Code ist?
Eine geheime Nachricht.
Richtig.
Und wie macht man das?
Willst du das wirklich wissen?
Ja.
Sollen wir einen Code machen?
Ja!
Er hebt Silvio auf seinen Schoß und nimmt einen leeren Zettel.
Sollen wir mal den Namen Nostradamus chiffrieren?
Ja. Was heißt chiffrieren?
So nennt man das, wenn man einen Code macht. Zuerst schreiben wir den Namen so hin:
Klartext: NOSTRADAMUS
Was ist ein Klartext?
Das Wort, das wir codieren wollen.
Dann mach das doch!
Erst brauchen wir ein Schlüsselwort.
Warum?
Der, der den Code schreibt, und der, der ihn verstehen soll, brauchen das gleiche Schlüsselwort, um zu wissen, wo im Quadrat – er tippt mit dem Zeigefinger leicht auf das Vigenère-Quadrat – sie die Buchstaben finden, die sie brauchen. Also, um einen Code zu machen, brauchen wir erst ein Schlüsselwort:
Schlüsselwort: MEDICI
Dann legen wir das Schlüsselwort über das Wort, das wir codieren wollen, und wiederholen das so oft, bis es genauso lang ist wie das Wort darunter. So:
Schlüsselwort:
M
E
D
I
C
I
M
E
D
I
C
Klartext:
N
O
S
T
R
A
D
A
M
U
S
Siehst du, dass das N des Klartextes genau unter dem M des Schlüsselwortes liegt?
Ja.
Und jetzt gehen wir ins Vigenère-Quadrat, um das M wiederzufinden. Siehst du? Linie zwölf beginnt mit einem M. Diese Reihe brauchen wir für den ersten Buchstaben. Also N. Und das N finden wir in der obersten Reihe, da, wo Klartext steht. Siehst du es? Und dann gehen wir mit dem einen Finger vom N nach unten und mit dem anderen vom M nach rechts. Und da, wo sie sich treffen, finden wir einen neuen Buchstaben. Siehst du, welchen?
Ein Z.
Ja, das Z. Also ist das Z der erste Buchstabe des Codes, des Chiffretextes. Das N in Nostradamus ist mit Hilfe des M des Schlüsselwortes zu einem Z geworden. Verstehst du?
Ja, ich glaube schon. Und der Rest?
Das muss man jetzt Buchstabe für Buchstabe machen:
Schlüsselwort:
M
E
D
I
C
I
M
E
D
I
C
Klartext:
N
O
S
T
R
A
D
A
M
U
S
Chiffretext:
Z
S
V
B
T
I
P
E
P
C
U
Schließlich hat man ein ganz neues Wort. ZSVBTIPEPCU . Und was bedeutet das?
Nostradamus.
Siehst du, dass aus den zwei S in Nostradamus in unserem Chiffretext zwei ganz unterschiedliche Buchstaben geworden sind? Ein V und ein U.
Ja, das war gar nicht schwer.
Nicht, wenn man weiß, wie man es machen muss. Aber viele hundert Jahre lang glaubte man, dass sich dieser Code nicht entschlüsseln ließe.
Silvio gähnt.
Bist du müde?
Nein.
Soll ich weitererklären?
Ja.
Willst du wissen, wie man das andersherum macht? Wie man einen Code wie diesen löst?
Ja.
Er hat gerade erst zu erklären begonnen, als er hört, dass Silvio schläft. Er trägt ihn zum Bett und deckt ihn zu.
*
Noch eine Stunde bleibt er sitzen und arbeitet. Er sucht nach einem Schlüsselwort, das den Chiffren Sinn gibt. Er experimentiert. Probiert das eine oder andere aus. Was für ein Schlüsselwort kann Nostradamus verwendet haben? MBOMAOMDCNMLEHEV C 3443. Er denkt an Theophilus de Garencières in Salon … Hatte er nicht von einer anderen Spur gesprochen? Auch wenn in Theos konspirativer Welt alles gleich eine Spur war, die kleinste Sache. Deshalb war es auch unmöglich, ihn ernst zu nehmen. Er schaffte es einfach nicht, Informationen zu gewichten, setzte nie irgendwelche Prioritäten. Für ihn war alles gleich wichtig, gleich sensationell. MBOMAOMDCNMLEHEV C 3443. Was bedeutet das? Er sucht nach einem Muster. Versteckten Zeichen. Schließlich kann er nicht mehr. Sein Kopf will nicht mehr. Ist leer. Er kann seine Gedanken nicht mehr zusammenhalten. Er steht auf und achtet darauf, dass die Stuhlbeine nicht über den Boden kratzen. Pinkelt in den Nachttopf, den die Mönche bereitgestellt haben, richtet den Strahl auf den Rand, damit das Plätschern Silvio nicht weckt. Dann wäscht er sich in der Wanne die Hände.
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